Sizilien Auf den Spuren der Cosa Nostra
Geheimnisvoll und spannend sind die Geschichten über die Mafia auf der süditalienischen Insel. Gewürzt mit den Drehorten von „Der Pate“ wird die Reise zu einem echten Abenteuer.
„Warum gehst du zur Polizei? Warum kommst du nicht gleich zu mir?“ Eine leise Frage in einem dunklen Zimmer. Gestellt von einem Mann, der in einem mächtigen Sessel sitzt und nur von hinten zu sehen ist. Ein Schatten in der Schattenwelt. Oscarreif. Marlon Brando ist Vito Corleone, der Pate. Cosa Nostra, unsere Sache, eine innere Angelegenheit — sie wird von der Familie geregelt. Nicht von Außenstehenden. Auch im Amerika der Nachkriegsjahre, als viele italienische Immigranten Mafiastrukturen in den USA aufbauten. Und sich später blutige Schlachten auf den Straßen lieferten. Szenen aus der Realität, Szenen aus „Der Pate“.
Sizilien ist die Heimat der Cosa Nostra, obwohl die Existenz der Mafia bis vor wenigen Jahrzehnten im Verborgenen blieb und man nicht über sie sprach. „Vor allem die Bosse wurden nie beim Namen genannt“, sagt Salvatore, sizilianischer Touristenführer. Bis Untersuchungsrichter Giovanni Falcone Anfang der 1980er-Jahre in großem Stil gegen die Mafia ermittelte und 1986 den ersten Prozess der italienischen Geschichte anstrengte. Hunderte Mitglieder des organisierten Verbrechens wurden verurteilt — und die Cosa Nostra rächte sich. Am 23. Mai 1992 fiel Falcone einem Sprengstoffattentat zum Opfer, wenig später auch sein Kollege und Vertrauter Paolo Borsellino.
Jedes Jahr am 23. Mai ziehen tausende Schüler und Studenten mit Protestplakaten durch die Straßen von Palermo, marschieren zu dem riesigen, geschmückten Gummibaum vor Falcones ehemaligem Wohnhaus. Daran hängen Plakate und gemalte Bilder, Fotografien von Falcone und Borsellino halten ihr Andenken lebendig. Hunderte Mafiosi wurden verhaftet. Von einem Gericht, das sich nicht einschüchtern ließ.
Blumen liegen am Fuße des mächtigen Baums, bunte Zettel mit Anti-Mafia-Parolen flattern an seinen Ästen. In jeder noch so kleinen Gasse der sizilianischen Hauptstadt finden Besucher Erinnerungen an die beiden Untersuchungsrichter. Ihre Namen sind buchstäblich in Stein gemeißelt: auf den Stufen der Piazza de la Memoria auf der Rückseite des Justizministeriums.
„Es gibt eine starke Anti-Mafia-Bewegung in Palermo“, sagt Stadtführerin Marilù und zeigt ein Restaurant mitten in der Altstadt und einen kleinen Kiosk wenige Schritte davon entfernt. „No pizzo“ steht auf einem Aufkleber im Fenster. Kein Schutzgeld. Einzelkämpfer, die sich gegen die Mafia stemmen. „Man geht davon aus, dass fast alle Restaurants und Geschäfte erpresst werden und zahlen“, sagt Marilù. „Das ist noch genauso wie früher.“
Eindrucksvoll erzählt sie von Mafia-Kriegen aus den 60er-Jahren, dem Maxi-Prozess und dem heutigen Staatsanwalt, der mit seiner Familie unter ständigem Polizeischutz steht — er bekommt ebenso Morddrohungen wie seinerzeit Falcone und Borsellino. „Die Geschichte wiederholt sich“, sagt Marilù und Resignation schwingt in ihren Worten mit. „Dennoch will sich Palermo den Touristen als Anti-Mafia-Stadt präsentieren“, sagt sie und zeigt wunderschön restaurierte Fassaden, prachtvolle Gebäude und Paläste.
Die reichen Palermitaner, die es vor vielen Jahren aufs Land gezogen hatte, kehren zurück in die Stadt. „Der Tourismus ist unsere Chance“, glaubt Marilù, ebenso traditionelle Gewerke wie Fischfang und Obstanbau. „Wir können Strukturen schaffen, die die Mafia unnötig machen“, erklärt sie optimistisch — und fügt hinzu: „Obwohl man davon ausgehen muss, dass die gesamte Staatsgewalt entweder der Mafia angehört oder von ihr erpresst wird, damit sie Gesetze in ihrem Interesse erlässt.“ Der Kampf gegen die Mafia — findet er nur in einer Parallelwelt statt?
Beige-braune Hügel, grüne Wiesen und Weiden mit Klatschmohn und weinrotem Klee, darüber strahlend blauer Himmel mit weißen Wattewölkchen, die mit ihren Schattenspielen die Landschaft Siziliens noch weicher zeichnen. Postkarten-Idylle. Ein leichter Wind weht, ansonsten liegt Stille über der Region um den kleinen Ort Corleone. Eine verschlafene Ruhe, die so gar nicht daran erinnert, dass dort die größten Mafiabosse Siziliens ihre Heimat hatten.
Heute steht in Corleone das Anti-Mafia-Zentrum, das an die Widerstandskämpfer unter den Bauern und an die Sozialisten erinnert, die sich gegen die Steuereintreiber der Großgrundbesitzer auflehnten. Im Film will Michael nach Corleone, wandert mit zwei Begleitern über sonnige Felder, durch enge Gassen, vorbei an einer Kirche, die hoch oben über einem winzigen Ort thront.
Gedreht wurde diese Szene in Savoca, den Weg von der Kirche hinunter zur Bar Vitelli können Besucher heute noch genauso gehen wie Anfang der 70er-Jahre, als Francis Ford Coppola sein Mafia-Epos dort drehte. Lorenzo Motta empfängt seine Gäste freundlich und zeigt stolz die Foto- und Requisitensammlung in einem Raum neben dem Eingang der kleinen Bar. Dieser Drehort hat nichts von seinem damaligen Flair verloren, sogar der Name taucht genauso im Film auf als Michael Corleone um ein Kennenlernen der Tochter des Wirts bittet.
Dann präsentiert Motta den Keller des hübschen Hauses mit der von Wein umrankten Terrasse. Frisch renoviert feiert er Premiere: seine Eröffnung als Eventlocation, zum Beispiel für eine Weinprobe. Dafür stehen die Weine der Region um Corleone bereit. Deren Trauben auf den Weinbergen enteigneter Mafiosi wachsen. Dargeboten von schmucken Sizilianern im schwarzen Anzug mit weißem Hemd, Krawatte und seidenem Einstecktuch. Die dunklen Haare mit Gel perfekt frisiert, das Lächeln strahlend weiß. „Wir sind sehr stolz auf die Weine“, sagt Motta und eine flüchtige Geste reicht, um den Gästen aus der ersten Flasche einschenken zu lassen. Gefragt nach seiner Funktion in der Bar sagt der grauhaarige Herr im hellblauen Hemd freundlich und bedächtig: „Die Bar gehört der Familie. Und ich bin Teil der Familie.“ Passender hätte er es an diesem Ort wohl nicht formulieren können. Die Autorin reiste mit Unterstützung von DER Tour.