Colonia ist das Schatzkästchen Uruguays
Colonia (dpa/tmn) - Einst Armeleute-Viertel, ist die Altstadt von Colonia längst ein Touristenmagnet, von der Unesco als Welterbe geadelt. Urlauber sehen dort - im fernen Uruguay - Schmuckstücke spanischer und portugiesischer Kolonialarchitektur.
Karin Reimer erinnert sich noch gut an die Zeit vor mehr als 20 Jahren. Schon damals rollten Karawanen von Urlaubern aus den Autofähren, die aus Buenos Aires nach Colonia del Sacramento übersetzten. Doch die Argentinier ließen das uruguayische Hafenstädtchen, kurz Colonia genannt, auf dem Weg zu den Badeorten am Atlantik meist links liegen. Anhalten und sich die kleine Altstadt auf der Landzunge im Rio de La Plata anschauen? „Nein, das wollte kaum jemand“, erzählt die deutschstämmige Stadtführerin.
Heute ist die nur 45 Fährminuten von Buenos Aires entfernte Stadt ein überaus beliebtes Ausflugsziel. Seit die Unesco 1995 die Altstadt von Colonia wegen ihrer gut erhaltenen portugiesischen und spanischen Kolonialarchitektur in das Weltkulturerbe aufgenommen hat, boomt der Tourismus.
Allein 2009 wurden laut Tourismusamt rund 2000 Führungen durch die nur 300 Einwohner zählende Altstadt gebucht, jede zweite von Besuchern aus dem Nachbarland. Aber auch bei Gästen aus anderen Teilen der Welt ist Colonia mittlerweile als Ziel für einen Kurzurlaub beliebt. Wer schon den Weg nach Argentinien auf sich nimmt, macht gern einen kleinen Abstecher nach Uruguay. Und natürlich ist die älteste europäische Stadtgründung des Landes erst recht für Uruguay-Reisende ein Muss.
Karin Reimer profitierte unverhofft vom Welterbe-Boom. Wegen ihrer Deutschkenntnisse war die Hausfrau vor 16 Jahren plötzlich als Dolmetscherin bei Stadtführungen gefragt. Mittlerweile organisiert sie diese auch selbst. Bevorzugt startet Reimer am alten Stadttor der mächtigen Befestigungsanlage. Die Mauern, auf denen heute Touristen spazieren, waren lange Zeit für die Stadt überlebenswichtig. 100 Jahre lang wurde hart um Colonia gekämpft.
Aus strategischen Gründen 1680 von den Portugiesen gegründet, sollte die Stadt einen Zugang zu den Handelsrouten auf dem Rio de la Plata sichern. Noch im Gründungsjahr wurde sie von den Spaniern besetzt, in einem Krieg 1704/1705 dem Erdboden gleichgemacht, wenig später wieder aufgebaut. „Von Beginn an wurde Colonia zum Zankapfel zwischen den beiden Kolonialmächten“, erzählt Reimer.
Immer wieder wechselten die Besitzer und hinterließen ihre Spuren: Die Portugiesen bauten geduckte Häuser mit mächtigen Mauern und kleinen Fenstern sowie die typischen Pflasterstraßen mit der Regenrinne in der Mitte. Das wohl schönste Beispiel: die Calle de los Sospieros, auf Deutsch Seufzergasse.
Die Spanier hingegen errichteten prächtige Kolonialbauten mit aufwendigen Eisenverzierungen, edlen Patios, kleinen Gärten und Springbrunnen, in denen heute hochklassige Hotels untergebracht sind. Ruhiger und beschaulicher wurde es in Colonia erst 1828, als Uruguay unabhängige Republik wurde.
Die meisten Touristen klettern heute auf den Leuchtturm und genießen den Blick über den Fluss, die Bastionen und die Kathedrale. Sie streifen durch die romantischen, mit Jasmin und Oleander bewachsenen Gassen und Plätze, die nicht im üblichen Schachbrettmuster angelegt sind, sondern an die geografische Lage angepasst wurden. Kleine Galerien und Souvenir-Läden wechseln sich mit gemütlichen Cafés und Restaurants ab, aus denen der Duft von gegrilltem Fleisch strömt.
Der Stolz auf das Welterbe ist unübersehbar. In den Läden hängen T-Shirts mit Unesco-Logo. Restaurants reichen Tellerunterlagen mit Rätseln zur Stadtgeschichte und Unesco-Symbol.
Warum die winzige Altstadt so gut erhalten blieb, ist schnell erklärt: Lange galt sie als Armeleute-Viertel, gewohnt und gebaut wurde in der Neustadt. Erst in den 1960er Jahren gab es erste Bemühungen, das historische Ensemble unter Schutz zu stellen. Ausgerechnet ein Argentinier wagte um 1970 den ersten Schritt und kaufte eines der portugiesischen Häuser. „Er modernisierte es, und plötzlich waren auch die anderen Häuser begehrt“, erzählt Reimer.
Touristen finden heute Unterkünfte für jedes Budget: Vom einfachen Hostel für Rucksackreisende bis hin zum Sheraton-Luxushotel - Hotels mit insgesamt rund 2500 Betten sind in den vergangenen Jahren im nur rund 22 000 Einwohner zählenden Colonia aus dem Boden geschossen.
„Der Tourismus hat uns gerettet“, sagt Reimer. „Erst vor wenigen Jahren schloss die Textilfabrik - der einst größte Arbeitgeber.“ Heute gehe die Arbeitslosigkeit gegen Null - und Zimmermädchen für die Hotels würden per Lautsprecherwagen gesucht.