Rafting in Jamaika Ein Besuch bei der Göttin des Rio Grande ist Pflicht
Bambus, Busu und Bob Marley: Ein Besuch bei Köchin Belinda ist Pflicht während einer Rafting-Tour auf Jamaikas Big River.
Jamaika. Platsch! Das Geräusch des eintauchenden Bambus durchbricht die Stille rund um den Big River. Jamaikas zweitlängsten Fluss stört das nicht. In stiller Monotonie schlängelt sich der Strom durch das grüne Dickicht im Portland Parish, der tropischsten Region der Insel.
Flößer Mark Ming stochert mit seinem Stab im klaren Wasser, sucht eine Furche im Boden und gibt den zusammengebundenen Bambusstäben mit einem kräftigen Stoß eine neue Richtung. Der Mann mit hochgekrempelter Hose und verschwitztem Hemd hat Erfahrung. Seit sieben Jahren steuert er seinen Kahn über den Rio Grande, wie ihn die spanischen Entdecker nannten. Jede Biegung, jeder Stein, jede Stromschnelle und jede Sandbank sind ihm vertraut.
Auf einmal fliegt ein Kolibri an ihm vorbei und inspiriert Mark zu einem Lied. „Don´t worry about a thing“, singt er, „because every little thing is gonna be allright.“ Seine beiden Fahrgäste auf dem thronartigen Aufbau hinter ihm stimmen mit ein. „Three Little Birds“, der Hit der Reggae-Ikone Bob Marley, passt auch besser zu Mark als ein schmachtendes „O sole mio“, welches seine venezianischen Kollegen gern bei ihren romantischen Touren durch die italienischen Lagunenstadt für ihre Kunden anstimmen.
Bestaunen Touristen in der Serenissima Brücken und Paläste, bekommen seine Kunden bei den Rafting-Touren einen bis zu 30 Meter hohen und blickdichten Urwald und Wasserfälle geboten, die sich plötzlich aus der Dschungelidylle in das Wasser ergießen. Ein zauberhaftes Ambiente — dazu noch geschützt von einer waschechten Göttin. Einer Göttin? „Yeah Mon“, versichert er seiner skeptischen Kundschaft, „you can smell her when we come closer.“ Während das Pärchen auf dem Bambus-Thron noch überlegt, ob es eine riechende Göttin kennenlernen will, versenkt er erneut den Bambusstab im Fluss und nach der nächsten Biegung werden seine Worte wahr: Ein Hauch von Feuer, Gewürzen und Kräutern weht von einer nahen Sandbank herüber. Er steigt von einem urigen und einfachen Bretterverhau empor, hinter dem eine zierliche Frau mit rotkarierter Kochschürze in mehreren Kochtöpfen herumrührt.
„Guys“, sagt er, legt das Bambusboot am Ufer an und hilft seinen Kunden auf die Sandbank, „meet the goddess of the river: Belinda.“ Die Göttin hat erstmal keine Zeit für ihren Besuch. Die Busu-Suppe, eine Art lokale Bouillabaisse, ist noch nicht ganz nach ihrem Geschmack. Mit geübtem Griff wirft Belinda Gray eine Handvoll Piment in den Sud, dazu noch eine Prise gehackter Chili-Schoten. Sofort ändert sich der Geruch und die schlanke Mittvierzigerin lächelt zufrieden. Direkt daneben schmort ihr berühmtestes Gericht, goldbrauner Flusskrebs in einer erdigen Soße mit Kräutergeschmack. Ihr „Cray Fish“ ist auf der ganzen Insel berühmt — und ihm verdankt sie auch ihren göttlichen Ruf.
Aber nicht nur aufgrund des Geschmacks. Die Flusskrebse kauft sie jeden Morgen von den wenigen Flussfischern, die in den reichen Fischgründen des Rio Grande auf Beutefang gehen. Ein paar Stunden später sorgt sie für eine äußerst leckere Mittagsmahlzeit für die mit Speer und kleinen Harpunen bewaffneten Männer. „They love me for that“, beteuert sie grinsend — und weiß, dass mehr dahinter steckt. Jahrzehntelang diente der Rio Grande als Frachtroute für die lokalen Plantagenbesitzer, um Waren wie Zuckerrohr, Ananas oder Bananen auf den schmalen Bambusbooten bis zu den Verladedocks im nahen Port Antonio oder St. Margaret´s Bay zu staksen. Harry Belafonte machte mit seinem „Banana Boat Song“ das harte Leben der Dockarbeiter weltweit bekannt.
Nachdem man aber in der ehemaligen britischen Kronkolonie immer mehr Straßen gebaut hatte, wurden die Flößer nahezu beschäftigungslos. Bis einer der größten Frauenhelden der Geschichte einen neuen Nutzen in den Bambustouren entdeckte. In den 50er-Jahren landete Hollywood-Star Errol Flynn zufällig auf der Karibikinsel und merkte schnell, dass dem Charme einer Rafting-Tour bei Mondschein kaum eine Frau widerstehen konnte. „The River is mighty“, weiß Belinda — und nicht nur die Jet-Set-Freunde des Mimen, sondern in ihrem Gefolge auch immer mehr Urlauber entdeckten die Freuden einer Fahrt mit den flachen Bambuskähnen. Besonders Honeymooner schwören auf eine Fahrt auf dem Fluss. Schon Belindas Mutter Betty witterte das Geschäft mit den Touristen, um Belinda und ihre elf Geschwister durchzubringen.
Wobei sich manche Dinge auch nach Belindas Übernahme des Familienbetriebs nicht geändert haben. Noch immer führt keine Straße an ihren Arbeitsplatz. Jeden Morgen legt sie den sieben Kilometer langen Weg von ihrer Hütte auf einem nahen Berg zurück, um ihre Kochutensilien aufzubauen. Unterwegs sammelt sie Holz für das Feuer ein, kauft bei Farmern Hühner- oder Ziegenfleisch, sammelt Kräuter und beginnt täglich um zehn Uhr ihren Arbeitstag. Ob sie jemals etwas anderes machen wollte? „No, Mon, I love my job“, sagt sie und dreht die Flusskrebse ein letztes Mal mit dem Holzlöffel. Sie könne kommen und gehen, wann sie wolle — und außerdem erfahre sie die Ehrerbietung der Flussfischer, Flößer und Touristen. Ein gutes Gefühl für die zierliche Frau, die schnell noch eine Prise Salz und Pfeffer an ihre typischen Beilagen, die frittierten Brotfrüchte und den schmackhaften Kohl hinzufügt. „They call me a goddess — how wonderful is that?“
Der Autor reiste mit Unterstützung des Jamaica Tourist Boards.