Grönland-Tour Einmal noch auf der MS Deutschland
Im Juli konnten Fans des ehemaligen ZDF-Traumschiffs vielleicht ein letztes Mal vor Grönland kreuzen.
Kangerlussuaq. Wie eine optische Täuschung wirkt das Schiff, das einige hundert Meter vor dem Hafen Kangerlussuaqs an der Westküste Grönlands liegt. Im Dunst scheint seine weiße Silhouette über der funkelnden Wasseroberfläche zu schweben. Ein Zodiac startet mit tuckerndem Motor auf dem milchigen Fjord, um einen Schwung Passagiere an Bord des ehemaligen Traumschiffs zu bringen, das in der Ferne auf sie wartet.
Die Erfahrenen unter ihnen richten in Ruhe ihre Kabinen ein und lassen sich im Anschluss mit einer Tasse Kaffee an der Poolbar oder einem der anderen Sonnenplätze nieder. Neulinge hingegen wandern erst einmal staunend zwischen den acht für Passagiere begehbaren Decks auf und ab. Einige werfen einen Blick in das goldenfarben ausstaffierte Restaurant Berlin, das kleine Kino, den gediegenen Salon Lili Marleen und den Kaisersaal, eine Art Varieté-Theater mit roten Polstermöbeln. Andere flanieren durch die Kolonnaden, inspizieren Sport- und Spa-Bereich oder bewundern die umfangreiche Sammlung aus Gemälden, Büsten, Statuen und weiteren Kunstobjekten, die das schwimmende Grand-Hotel im Stil der 20er-Jahre inklusive Kabinen zieren.
Westlich entlang der größten Insel der Welt führt die Tour. Schon nach einer Nacht auf See, über der im Sommer die Sonne nur kurz und dann gar nicht mehr untergeht, kommt der erste Eisberg in Sicht — ein phänomenaler Anblick, auch für erprobte Grönland-Reisende. Immer mehr schwimmende Kolosse werden es, und sie verändern sich mit jeder neuen Perspektive. Dutzende Meter hoch türmen sich manche auf, einige sind von blauen Schichten durchsetzt. Andere ähneln Eisbären, das Hinterteil in die Höhe gereckt, oder Elefanten mit erhobenen Rüsseln.
Vereinzelt erscheinen Gesichter in den glitzernden Flächen, die zum Teil glatt, zum Teil wie mit Millionen Glassplittern oder mit Pulverschnee überzogen wirken. Wie Aquamarine schimmern wunderschön geschwungene Torbögen aus Eis. Über Stunden zieht dieser natürliche Skulpturenpark Beobachter in seinen Bann. Wer Glück hat, sieht ab und zu sogar einen Buckelwal auftauchen.
Während der Landgänge wähnen sich westeuropäische Besucher in einer anderen Zeit. Die Inuit leben traditionell: Fisch- und Walfang sowie Robbenjagd sichern seit Jahrtausenden ihre Existenz. In Grönland leben rund 56 000 Menschen, davon etwa 16 200 in der Hauptstadt Nuuk. Der Rest verteilt sich auf Siedlungen mit oft weniger als 100 Einwohnern, die vor ihren rot, blau, gelb, lila oder grün angestrichenen Holzhäuschen Wäsche aufhängen oder ein Glas Gletscherwasser trinken.
Straßen gibt es nur in größeren Orten, und sie verbinden keinen davon mit einem anderen. Der typische Meeresduft fehlt in den Buchten, etwa vor Saqqaq, Uummannaq, Upernavik. Das Wasser ist eiskalt, es hat zu dieser Jahreszeit etwa einen Grad Celsius. „Ein Kühlschrank“, sagt ein Einheimischer. Neben seinem Fischerboot treibt eine tote Robbe unter Wasser. „Da bleibt sie frisch.“
Starker Geruch strömt mitunter vom Festland aus: Auf rötlichen Felsen stapeln sich zahlreiche Fische. Sie glänzen silbrig in der warmen Sonne, sind platt, wellen sich. Trockenfisch dient unter anderem als Futter für die Schlittenhunde der Insel, die den Sommer angekettet im Freien verbringen, ohne sich gegenseitig berühren zu können. Zweimal wöchentlich bekommen sie Nahrung, im Winter müssen sie erst wieder Muskeln aufbauen, um Jagd- und Reiseschlitten ziehen zu können.
Zehn Tage dauert diese erste von drei unerwarteten Nordlandfahrten. Eigentlich wäre die MS Deutschland gar nicht mehr als klassisches Kreuzfahrtschiff im Einsatz, aber sie wurde kurzfristig für die reparaturbedürftige MS Hamburg eingesetzt — zur Freude zahlreicher Fans, die noch einen Platz ergattert haben. Die treuesten Anhänger kommen abends in der Bar „Zum Alten Fritz“ zusammen, trinken „Apotheke“ — ein grünes Getränk, das Fernet Branca enthält und in Martinigläsern serviert wird — und schwärmen von ihrem Schiff.
„Ob Grönland oder Indien, das Ziel hat uns nicht interessiert. Wir wollten noch einmal auf unsere Deutschland“, sagt eine Mutter aus Mülheim. Sie und ihr Sohn sind zum elften Mal an Bord. Die anderen Barbesucher gemischten Alters berichten ähnliches. Alle eint ein großer Wunsch: Dass die „Deutschland“ auch über den Sommer 2015 hinaus fahren möge. Egal, wohin. „Wir kommen auch mit ans Ende der Welt.“