Estland: Tallinn, Stadt der Superlative

Die Metropole Estlands zieht die Gäste mit ihrer historischen Altstadt aus der Hansezeit in Bann.

Tallinn. Tallinn, Landeshauptstadt von Estland, hat viele Superlative: Das einstige Reval ist in diesem Jahr Kulturhauptstadt Europas. Seine mittelalterliche Altstadt ist Welterbe der Unesco. Seine Lage direkt an der Ostsee ist einmalig.

Es boomt als Touristen-Metropole. Und es bildet mit dem nur 100 Fährminuten entfernten Helsinki einen Wirtschaftsraum, den einige Wirtschaftsweisen schon als „Tallinnski“ bezeichnen.

Tallinns Erfolgsstory begann nach der Unabhängigkeit des Landes von Russland, als man alle Schulen online schaltete. Dadurch gewann die Metropole im Osten sehr schnell Anschluss an den Westen und den Euro als Zahlungsmittel.

Mit der Unabhängigkeit seit 1991 setzten die Bürger zugleich ein kulturelles Zeichen, sie bauten das KuMu (Kunstmuseum). Das hoch aufragende Gebäude über dem Hügel des zaristischen Schlosses Kadriorg ist ein Wahrzeichen moderner Architektur. Dort präsentiert die Kulturhauptstadt in Kooperation mit dem Goethe-Institut ihre digitale Revolution mit „Gateways“, einer Schau zur vernetzten Kultur.

Die Mausklick-Generation unter den jungen Besuchern bedient ganz locker die diversen Knöpfe und freut sich, was der Computer alles preisgibt. Sie amüsiert sich über einen digital gesteuerten Wasservorhang und die Geräusche aus der City am Ohr.

Tallinn ist eine fußläufige Stadt, die von den Mauern zwischen Domberg und Altstadt umgeben ist. Die Türme der Oberstadt tragen Namen wie „Kiek in de Kök“, denn noch in unserer Zeit lässt es sich von einer Aussichtskanzel in die „Küche gucken“. Vom „Pikk Hermann“ weht wieder die estnische Fahne. Und am Fuß des Hügels liegen die gemütlichsten Lokale.

Zwei Kirchen konkurrieren dort oben miteinander. Der Tallinner Dom wurde ursprünglich von Dominikaner-Mönchen gegründet und ist heute das bedeutendste Gotteshaus der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde Estlands.

Die Aleksander-Nevskij-Kathedrale mit ihren typischen Zwiebeltürmen wurde um 1900 als sichtbares Zeichen der russischen Macht mit Wandornamenten und Ikonen errichtet.

In der Nähe steht das estnische Parlament, umgeben von prachtvoll hergerichteten Patrizierhäusern, in denen Botschaften und Ministerien residieren. Nach der Wende floss viel Geld aus dem Westen in die alten Gebäude.

Die Unterstadt gruppiert sich um den Rathausplatz. Wo ehemals Ritterspiele stattfanden und Köpfe am Pranger rollten, sitzen die Touristen in Restaurants oder bewundern die älteste noch in Betrieb befindliche Apotheke Europas, die Ratsapotheke aus dem Jahr 1422.

Vom Turm des Rathauses hält der Alte Thomas seine Fahne in den Wind. Zwischen Rathausplatz und Hafen liegen die Kontor- und Gildehäuser aus der Blüte der Hanse, als sich die niederdeutschen Kaufleute zusammenschlossen, um ihre gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen zu vertreten.

Diese Zeit des Mittelalters macht Tallinn so einmalig, denn viele Häuser blieben erhalten und sind herausgeputzt. Zu den stattlichsten zählen das Schwarzhäupterhaus, früher der Wohnsitz lediger deutscher Kaufleute, und das Große Gildehaus, das heutige historische Museum, in dem sich die einflussreichsten Kaufleute und Reeder trafen. Wie reich die Kaufleute waren, lässt sich am Silberschatz ablesen, der in der nahen Nikolaikirche aufbewahrt wird. Der größte weltweit.

Ein „Muss“ ist Schloss Kadriorg mit seinem Barockgarten. Die Sommerresidenz Peters des Großen wurde 1718 vom römischen Architekten Nicola Michetti fertiggestellt. Im Innern lassen sich Maler wie Frans Hals, Angelika Kauffmann, Anton Graff und Vertreter der Düsseldorfer Malerschule bewundern.

Tallinn war aber auch Hochburg des KGB, des sowjetischen Geheimdienstes, der im Luxushotel Viru Soros die ausländischen Gäste ausspionierte. Seit kurzem gibt es in der obersten Etage ein kleines Museum und eine Führerin, die weniger die Gräueltaten als die Kuriositäten der damaligen Machthaber erzählt.

Aus Tallinns schlimmster Vergangenheit stammt das ehemalige Gefängnis direkt an der Ostsee, in dem seit 1919 Missetäter oder Dissidenten misshandelt und oft im „hanging room“ umgebracht wurden.