Die A-Rosa „Sena“ macht seit Mitte Juni vor, wie Kreuzfahrtgäste auf Europas Flüssen mit besserem Gewissen reisen können Fast geräuschlos auf dem Rhein
Was wirklich im Gedächtnis bleibt, ist dieses Plätschern. Sacht schlagen die Wellen gegen den Bug unterhalb der offenen Balkontür, während die „Sena“ sich zwischen Nijmegen und Rees auf dem Niederrhein in Richtung Köln schiebt.
Bei anderen Schiffen würden sich für diesen Satz starke Verben anbieten wie „tuckern“, „dampfen“ oder „stampfen“. Aber auf der „Sena“ rumort weder ein Dieselmotor, noch rußt es aus einem Schornstein. Es gibt gar keinen. Dafür hört man auf den Wiesen am Ufer Vögel singen – und eben die Wellen, die sich am Bug brechen.
Das brandneue Flaggschiff der Reederei A-Rosa soll Flusskreuzfahrten nicht nur attraktiver, sondern auch grüner machen. „Das hat mich auch einige Nerven gekostet“, sagt Schiffsführer Ulli Schwalbe, der den Bau auf der niederländischen Concordia Damen Werft in Werkendam als nautischer Experte eng begleitet hat. Schon 2014 habe es Ideen für ein erstes großes Hybridschiff für Flusskreuzfahrten gegeben, erzählt der 39-jährige Sachse. Man musste Geldgeber von dem ambitionierten Projekt überzeugen. Erst Mitte Juni 2022 war schließlich die Jungfernfahrt.
Die „Sena“ ist
ein echter Prototyp
Drei Wochen später sitzt Schiffsführer Schwalbe, auf Flüssen gibt es keinen Kapitän, zufrieden in seinem Pilotensesel im rund verglasten Steuerhaus auf Deck 5, das für die niedrigeren Rheinbrücken hydraulisch abgesenkt werden kann. Ein Autopilot hält das derzeit höchste und breiteste Flusskreuzfahrtschiff Europas auf dem vorgegebenen Kurs. So bleibt Zeit, sich der komplexen Technik an Bord zu widmen, die für Gäste normalerweise komplett unsichtbar ist. Ein neues Antriebskonzept zu entwickeln, ist keineswegs profan. Schwalbe spricht bei der „Sena“ von einem echten Prototypen. Anders als bei den meisten Tankern und Frachtschiffen, die er früher fuhr, ist ihr Antrieb schon heute komplett elektrisch. Drei Motoren im Heck bringen mehr als 3000 PS Leistung für maximal 24 Kilometer pro Stunde Geschwindigkeit.
Dazu kommen zum Manövrieren zwei Motoren am Bug. Die beiden Akkupacks speichern mit 1,4 Megawatt Strom etwa so viel wie 20 fortschrittliche Elektroautos. Damit kann das Schiff fast geräuschlos und emissionsfrei jeden Hafen ansteuern und unterwegs zudem Leistungsspitzen ausgleichen. In Köln, Amsterdam oder Antwerpen nutzt es Landstrom für den Betrieb.
„Nachhaltigkeit ist ein Thema, das immer mehr an Bedeutung gewinnt, und wir gehen davon aus, dass es eines Tages sogar buchungsrelevant sein wird“, erklärt A-Rosa-Geschäftsführer Jörg Eichler am Telefon aus dem Rostocker Firmensitz. Mit dem neuen Hybridantrieb seien Einsparungen fossiler Brennstoffe von bis zu 25 Prozent möglich. Die exakten Werte im Realbetrieb würden derzeit berechnet.
Tatsache ist aber auch, dass sich ein 4000-Tonnen-Schiff mit 280 Gästen und 70 Besatzungsmitgliedern an Bord nicht ohne Weiteres vollelektrisch betreiben lässt. Schon der Hotelbetrieb mit Fahrstuhl, Fitnessraum, Sauna, Whirlpool und kleinem Schwimmbecken auf dem Sonnendeck ist Energie-intensiv, auch wenn es auf dem ganzen Schiff beispielsweise nur noch LED-Beleuchtung gibt. Insofern ist es durchaus ambitioniert, wenn Eichler ankündigt, bis 2030 die gesamte Flotte auf Hybridantrieb umzurüsten und zumindest den Hotelbetrieb emissionsfrei zu stellen. Im Herbst solle ein erstes Schiff auf der Donau umgebaut werden.
Ohne Diesel läuft
noch nichts auf dem Schiff
Die restliche Energie erzeugen auch auf der „Sena“ drei Dieselgeneratoren. Allerdings lässt sich bei deren Betrieb vieles verbessern. Eine Anlage reinigt die Abgase mit Hilfe von Ad Blue wie bei Diesel-Pkw von Stickstoff. Ein neuartiges System gewinnt zusätzlich bis zu 100 Kilowatt Strom aus der Abwärme der Generatoren. Darüber hinaus wird das Abwasser biologisch geklärt und Einwegmüll vermieden. Abgepackt gibt es fast nur noch eine Tafel Schokolade zum Abschied. Getränkedosen oder Wasser in Glasflaschen gibt es gar nicht mehr. Kellner und Gäste nutzen Spender für stilles und Sprudelwasser.
Ohne allzu schlechtes Gewissen entpuppt sich eine Rheinkreuzfahrt auch für Flussanlieger als spannende Erfahrung. Sechs Tage zuvor hat sie im Deutzer Hafen begonnen. Lautlos hat die „Sena“ ihre Ankerpfähle eingefahren, die sie ohne jedes Tau an Ort und Stelle auf dem Flussboden festsetzen. Erst weit hinter der Kölner Zoobrücke ist der Dieselantrieb angesprungen. Auf dem Wasser wird klar, mit welchem Getöse viele Frachtschiffe tatsächlich auf Europas Verkehrsader Nummer 1 unterwegs sind. Da rumpelt und rumort es bisweilen gewaltig, damit der Industrie und den Verbrauchern im Binnenland nicht der Güternachschub ausgeht. Trotzdem schlagen Binnenschiffe in puncto Ökobilanz noch immer Bahn und Lkw.
Passagiere können E-Bikes kostenlos ausleihen
Auch das kleinere Schwesterschiff „Brava“ ist deutlich lauter zu hören, als es die „Sena“ mit Kurs auf Düsseldorf überholt. Apropos Düsseldorf: Dass man die Landeshauptstadt passiert, merken viele Passagiere am „Altbiersüppchen“, welches das Abendessen einleitet.
Ob in Amsterdam, Rotterdam oder Dordrecht: Mit Liegeplätzen fast unmittelbar am Zentrum ist eine Flussreise für Touristen eine bequeme Art der Fortbewegung. In der Vergangenheit wurde sie deshalb fast ausschließlich von Senioren genutzt. Mit einem eigenen „Kid’s Club“ im Vorschiff und mit zehn E-Bikes an Bord, die man sich künftig kostenlos ausleihen kann, will A-Rosa nun auch aktivere Gäste ansprechen.
Auf der „Sena“ sind Anfang Juli immerhin 14 Kinder mit Eltern oder Großeltern unterwegs. Es gibt sogar ein eigenes Kinderbuffet, das einige Erwachsene mit unverhohlenem Interesse begutachten. Nachdem Düsseldorf verdaut ist, gibt es für alle als Schlummertrunk Sekt und bunte Cocktails in der geräumigen Lounge – wahlweise mit Alkohol oder ohne.
Am nächsten Morgen plagen sich die Gäste mit der gewichtigen Frage, ob sie lieber Rühreier mit Speck, Müsli mit Dörrobst oder Marmeladenbrötchen frühstücken sollen. Im Steuerhaus rätselt Ulli Schwalbe derweil, wie er die „Sena“ in den Amsterdam-Rhein-Kanal bugsieren soll. Das hintere Tor der großen Prinz-Bernhard-Schleuse bei Tiel ist defekt, ein Ersatzteil am heutigen Sonntag erst am Abend aus Nordholland zu erwarten.
Mit Fingerspitzengefühl steuert Schwalbe das 17,7 Meter breite Schiff schließlich in die nur 30 Zentimeter breitere kleine Schleuse. Auch für einen Skipper mit 23 Jahren Berufserfahrung ist das ein denkwürdiger Augenblick, besonders mit einem nagelneuen Schiff. Dass am Nachmittag wegen der Verzögerung einige Ausflüge in Amsterdam ausfallen müssen, nehmen die Passagiere deshalb mit einem Achselzucken und einem unvermeidlichen Aperol Spritz in der Hand zur Kenntnis. Hauptsache, der Rhein und die Flusskreuzfahrt sind für ein paar Erzählungen gut. Nur das beruhigende Plätschern draußen vor der Balkontür, das ist praktisch unbeschreiblich.
Der Autor reiste mit Unterstützung von A-Rosa.