Die Kapverden bieten ursprünglichen Charme. Vor allem Santo Antão und São Vicente begeistern abenteuerlustige Reisende Inselparadiese im Atlantik
„Krass“, entfährt es einer Seniorin beim Blick über die Reling der „Vasco da Gama“, während das Kreuzfahrtschiff vorsichtig in den Hafen von Mindelo auf der Kapverden-Insel São Vicente manövriert.
Etwas erschrocken über sich selbst, dreht sich die Dame um und bittet mit den Augen bei Umstehenden um Zustimmung. „Stimmt doch?“, sagt sie jetzt etwas vorsichtiger. Ja, es stimmt: Gleich nördlich der Mole erstreckt sich der gleißend helle Laginha-Beach. Und der Atlantik davor ist selbst bei bewölktem Himmel derart unverschämt helltürkis, dass man diese Farbe durchaus „krass“ finden kann. Auch in älteren Semestern.
Traumstrände wie in der Karibik oder in Kalifornien
An den Küsten der Kapverdischen Inseln gibt es etliche Strände, die es mit Klassikern in der Karibik oder in Kalifornien locker aufnehmen können. Der berühmteste auf der Insel Boavista heißt etwas dreist Santa Monica Beach nach dem Vorbild südlich von Los Angeles. Manche Küstenabschnitte eignen sich wegen der starken Brandung nur zum Kitesurfen, andere aber bilden wunderbar geschützte Badebuchten. Und die Tauchgründe gelten als exquisit.
Überlaufen ist es noch nirgends. Auch wenn der Touristik-Riese Tui die Sandinseln Sal und Boa Vista ganz im Osten sowie Santiago mit der Hauptstadt Praia gerade entwickelt, liegen besonders die nördlichen Inseln São Vicente und Santo Antão noch ziemlich weit weg vom Weltgeschehen.
Das merkt besonders, wer mit dem Kreuzfahrtschiff anreist. Zwei bis drei Tage über den bewegten Atlantik dauert die Reise von Gran Canaria südwärts über den Wendekreis des Krebses, bis endlich die Spitzen von Santo Antão über dem Horizont auftauchen. Alle zehn bewohnten Inseln sind vulkanisch, wie ein nach Westen gekipptes „U“ im Meer verteilt und liegen fast 600 Kilometer vom nächsten Festland im Senegal entfernt. Ziemlich weit weg also. Trotzdem kann man bei Inselrunden gefühlt eine kleine Weltreise unternehmen.
Sie beginnt im quirligen Mindelo, der zweitgrößten Stadt des Mini-Staates, mit portugiesischer Kolonialarchitektur in Bonbonfarben. Im 19. Jahrhundert wurde der Naturhafen reich als Zwischenstopp für Dampfer zum Nachladen von Kohlen bei der Atlantik-Überquerung. Der alte Gouverneurspalast hinter blühenden Sträuchern ist weiß-rosa getüncht.
Neben den Fischmarkt hat man den Turm von Belem in Lissabon kopiert, kleiner zwar, aber mit großartigem Panorama auf die Stadt und den Porto Grande, einen riesigen unterseeischen Vulkankrater. Portugiesisch ist auf dem Archipel noch immer die lingua franca. Trotzdem sind die Kapverdianer stolz auf ihre Souveränität. Ein roter Balken in ihrer Flagge erinnert in das Blutvergießen im Unabhängigkeitskampf 1975.
Eine schwimmende Bühne mit Café mitten im Hafen soll neuerdings die eigenen Musiktraditionen der Inseln wachhalten. Dort werden Rhythmen aus fast aller Welt gespielt. In der Nähe hat ein junger Mann mit Schulheften im Arm Gesprächsbedarf. Gleich müsse er zur Abendschule. Aber vorher wolle er noch etwas Englisch üben für sein Studium in den Niederlanden. Bewässerungsfeldbau wolle er lernen mit einem Stipendium der Inselregierung und dann mindestens fünf Jahre als Ingenieur helfen, die kargen Erträge auf den trockenen Inseln zu verbessern. Das meiste Gemüse in der Markthalle von Mindelo ist schließlich importiert.
Steile Serpentinen führen
hinauf auf den Monte Verde
Mit einem Kleinbus geht es anschließend raus aus der Stadt. Viele Kurven führen steil auf den Monte Verde. 1500 Meter hoch sei der Tafelberg, sagt der Busfahrer. Der Höhenmesser zeigt knapp die Hälfte – und grün ist auf dem Schlackenkegel auch fast nichts.
Karg wie eine Mondlandschaft in der Atacamawüste oder der Namib wirken die umliegenden Kiestäler vor den schroffen Flanken der südlichen Topa de Caixa. Jungfräuliches Land, spektakulär wild. Man wünscht dem angehenden Bewässerungs-Ingenieur in Mindelo einen langen Atem. Der Fahrer versüßt seinen Passagieren die Aussicht mit einem Gläschen Ponche, mit Orangensaft und Gewürzen versetztem Zuckerrohrschnaps.
Am nächsten Morgen steuert die schwankende Autofähre „Chiquinho“ die Nachbarinsel Santo Antão an. Als Wand aus Fels ragt die aus dem Meer. Wer vom Fährhafen Porto Novo mit dem Jeep auf die Nordseite fahren will, der sollte nicht zu viel frühstücken und auf jeden Fall einen Insulaner als Fahrer anheuern. Wie eine Fernstraße im römischen Reich schraubt sich die aus Bimssteinbrocken sorgsam gepflasterte Fahrbahn meist einspurig steil in die Berge hinauf. Eine Felswand links, ein Blick in den Abgrund eines alten Vulkankraters rechts, dann wieder ein neues Tal links zieht an den Fenstern vorbei. Oft führen nur Ziegenpfade hoch zu einzelnen Gehöften. Gegenverkehr muss man zum Glück kaum fürchten. Denn wenn São Vicente beschaulich war, so ist Santo Antão regelrecht verschlafen.
Schwarze Lava
und ein grünes Tal
An einer Kurve führt eine Staubpiste durch einen verschlungenen Canyon aus Basaltsäulen direkt an den schwarzen Lavastrand. Durch ein Basalttor im 180-Grad-Winkel schießt die Gischt grollend an die Küste. Jetzt fühlt man sich wie auf Island, nicht gerade in den Tropen.
Auf der mühsamen Weiterfahrt über endlos wie unpassierbar scheinende Fahrspuren geizt Santo Antão nicht mit weiteren Panoramen. Auf der Ostseite dann ein ganz anderes Bild. Dort zapfen die Bergespitzen unablässig die Passatwolken an und lassen das Valle de Paul ergrünen wie ein Hochgebirgstal im Himalaya. Wer Wanderschuhe im Gepäck hat, der kann zu spektakulären Touren aufbrechen. Wer bei dieser Gelegenheit allerdings glaubt, einem Yeti zu begegnen, der hat dann doch einen Sonnenstich oder zu viel Ponche getrunken.
Der Autor reiste mit Unterstützung von Nicko Cruises.