Früher drehte sich in Cervia alles um die Salzgewinnung, heute stehen Feste, Strand und Shopping im Mittelpunkt Meereshochzeit und süßes Salz
Himmel, Stadt und Meer – in Cervia, rund 20 Kilometer von Ravenna an der italienischen Adria gelegen, feiert man seit Jahrhunderten diese Allianz. Das Bindeglied ist Salz – das weiße Gold. „Meereshochzeit“ nennt sich das Volksfest, das hier seit 578 Jahren in der Woche um Christi Himmelfahrt in ununterbrochener Tradition zelebriert wird.
Und zwar von den Fischern, die ihren Fang ebenso dem Meer verdanken, wie von den Salinari, die mit Hilfe von Sonne und Wind aus Seewasser Salz gewinnen. Und mit Gottes Hilfe, wie der aktuelle Erzbischof von Ravenna und Cervia, Lorenzo Ghizzoni, an diesem Festtag betont.
Einer seiner Vorgänger im Amt, Pietro Barbo, der später sechs Jahre lang Papst Paul II. in Rom war, geriet am Himmelfahrtstag 1445 auf einer Seereise von Venedig zurück nach Cervia in einen fürchterlichen Sturm. Die Sage berichtet, der Gottesmann habe in höchster Not mit der Bitte um göttlichen Beistand seinen Bischofsring ins Meer geworfen. Daraufhin sei aus der stürmischen See auf wundersame Weise ruhiges Wasser geworden. Dieses Gelübde wird seitdem alle Jahre in abgewandelter Form nachgespielt.
Alles, was in Cervia Rang und Namen hat, pilgert in historischen Kostümen und Zunftkleidung mit musikalischer Begleitung ans Meer. Der Bischof besteigt ein Schiff, wirft vor großer Zuschauerkulisse an der Mündung des Hafenkanals einen mit rot-weiß-grünem Band dekorierten goldenen Ring ins Meer, und die wassersportliche Jugend taucht nach dem Pfand. Wer es herausfischt, ist ein Held für zwölf Monate – im kommenden Jahr Nicola Bissi, 30 Jahre alt und im Zivilberuf Segel-Lehrer.
Das Meer, das Salz nach Cervia spült, hat die Stadt wohlhabend gemacht. Das Gewürz Salz war unerlässlich zur Konservierung von Lebensmitteln, um Salz wurden Kriege geführt, und Soldaten der Römerzeit bekamen ihr „Salär“, ihren Sold, je nach Standort in Form eines Säckchens Salz.
Die Menschen in Cervia legten bereits im Mittelalter Salinen (Salzfelder) an, auf denen das Meerwasser verdunstete und die weißen Kristalle „geerntet“ werden konnten. Cervia-Salz gilt auch heute noch als „süßes Salz“, weil es durch das besondere Zusammenspiel von Sonne und Wind einen Großteil seiner Bitterstoffe verliert.
Das Salz hat die Stadt
reich und berühmt gemacht
Die alte Stadt, über Jahrhunderte mitten in den Salinen, wurde ab 1698 abgerissen, um Platz und rentablere Transportwege zu schaffen, und näher am Meer wieder aufgebaut. Als eine wehrhafte Stadt mit Stadttoren, mit Mauern, in denen die Salzarbeiter wohnten, und Lagerhallen in denen das kostbare Salz gelagert und bewacht wurde.
Das alles und die ganze Geschichte der Salzgewinnung ist im Salzmuseum in einem alten Lagerturm und auch im Freien in einer Museums-Saline zu besichtigen. Da wird dokumentiert, mit welch einfachen Mitteln das kostbare Salz gewonnen wurde, wie es in Kähnen transportiert wurde und wie man den weißen Schatz behütete. Trotz aller Kontrollen: Es gab immer wieder gelungene Versuche der Salzarbeiterinnen, in den Schuhen oder in der Unterwäsche winzige Portionen Salz nach Hause zu schmuggeln. Das war dann gut verstecktes „Schwarzgeld“ für eine spätere Heirat.
Die Feste in Cervia werden gefeiert, wie sie fallen. Jedes Jahr am zweiten Wochenende im September wird die „Einbringung des Salzes“ gefeiert, eine Art Erntedankfest. Dann bringt eine mit dem weißen Gold beladene Burchiella, ein eigens für die Fahrt auf dem engen Stadtkanal gebauter flacher Lastkahn, unter großer Anteilnahme der Bevölkerung und der Badegäste symbolhaft die Ausbeute eines arbeitsreichen Arbeits-Halbjahres in der Saline zum Marktplatz.
Die Verlegung der Stadt näher ans Meer war, aus heutiger Sicht, ein genialer Schachzug. Als 1959 die technische Neuzeit in Cervia Einzug hielt, mechanische Erntemaschinen die zuvor mühsame Abeit übernahmen und die vielen kleinen Salinen zu einem großen Verbund zusammengefasst wurden, begann hier in der Emilia Romagna, auf halber Strecke zwischen Ravenna und Rimini, der Adria-Tourismus zu florieren.
Erste Pioniere um einen Mailänder Architekten hatten sich an diesem grünen Küstenstreifen bereits 1912 eine Gartenstadt im Jugendstil realisiert – Milano Marittima (Mailand am Meer) ist heute ein Stadtteil von Cervia. Die Stadt selbst hat sich ständig vergrößert – heute zählt sie 29 000 Einwohner, und in der Haupt-Ferienzeit im August stehen rund 49 000 Betten in Hotels und privaten Ferienhäusern zur Verfügung. Plus Platz auf Camping- und Wohnmobilplätzen.
Früher Kanal für den Salztransport, heute Bootshafen
Das Treiben am Strand ist wohl-organisiert. In so genannten Bagnos (Badeanlagen) mietet man seinen Liegestuhl-Platz und je nach Gusto eine Kabine für seine Kleider und das Spielzeug der Kinder. Dusche kostet extra, die Preise sind ab zwölf Euro je nach Meeresnähe gestaffelt. Es gibt auch kostenlos Liegefläche im Sand und freie Strandabschnitte ohne Eintrittsgebühr – und jede Menge Gastronomie.
Aus dem einst für den Salztransport wichtigen Hafenkanal ist heute ein bunter Bootshafen geworden. An dessen Ufer reihen sich Cafés und Speiselokale, vor denen man im Sonnenschein entspannt dem bunten Treiben auf dem Wasser zuschauen kann. Zentralpunkte sind der Alte Fischmarkt und die Piazza Garribaldi vor dem Rathaus. Eine direkte fußläufige Verbindung zwischen Hafenkanal und Strand bildet die Viale Roma. Hier ist Shopping angesagt: Bekleidung, die üblichen Strandspielzeug-Läden, Souvenirs und Schnellimbiss-Buden. Die verkaufen die so genannte Piadina – einen dünnen Teigfladen wie eine Tortilla, belegt je nach Geschmack mit Käse, Salat und Früchten oder Salami und dann zusammengerollt. Ein schnelles, leckeres Mittagessen. Jeden Donnerstag ist Vormittags Wochenmarkt, jeden Freitag bis Mitternacht Straßenmarkt.
Und das Salz, das früher bewacht wurde wie ein königlicher Schatz und auf das die Stadt Cervia Steuern erhob wie auf Tabak? Während die Kristalle früher von Mai bis September geerntet und sofort in sauberem Zustand verpackt wurden, ist Salz heutzutage ein Massenartikel, wird ein Mal im Jahr maschinell geerntet und über hohe Förderbänder zu weithin sichtbaren, riesigen Bergen im Freien gelagert. Aber kein Grund zur Sorge: Bevor es als „süßes Salz von Cervia“ in den Handel gelangt, wird es selbstverständlich sorgfältig gereinigt.
Der Autor reiste mit Unterstützung der Commune di Cervia.