Förmlich oder locker? Duz-Offensive im Allgäu
Oberstaufen (dpa) - „Du“ oder „Sie“? Im Allgäuer Ferienort Oberstaufen können Touristen selbst bestimmen, wie sie angesprochen werden wollen. Die Meinungen sind geteilt - auf Berghütten ist das „Du“ dagegen schon längst Usus.
Es sind genau 24 Aufkleber in Form eines Fußes, die ins Haus des Gastes in Oberstaufen führen. Auf jedem einzelnen steht in großen Lettern das Wort „Du“. Folgt man den Aufklebern, gelangt man an einen der Info-Tresen und wird von einer freundlichen Dame im Dirndl empfangen. Ein Schild über dem Schalter verrät: „Hier werden Sie geduzt“.
Melanie Trotier wirft vom Eingang aus einen skeptischen Blick auf den Schalter, an dem sich gerade ein Gast angeregt mit der Frau in Tracht unterhält. „Ich weiß nicht, für welchen Schalter ich mich entscheiden würde. Die Aktion ist schon nett. Aber ich glaube, ich hätte Schwierigkeiten, eine Fremde einfach so zu duzen“, sagt die 28-Jährige aus Flensburg.
Ist Gästen das förmliche „Sie“ lieber oder freuen sie sich, wenn ihnen im Urlaubsort das vertrauliche „Du“ angeboten wird? Der Ferienort Oberstaufen im Oberallgäu will es wissen und hat einen Pilotversuch gestartet. Im Haus des Gastes, wo sich die Touristen nach Unterkünften erkundigen oder Tipps für die Urlaubsgestaltung holen, können sie durch die Wahl des Service-Schalters selbst bestimmen, wie sie angesprochen werden wollen. An einem der vier Info-Tresen sind sie mit der Mitarbeiterin auf Anhieb per Du.
Erwin Kohl (75), der aus Hessen stammt und seit ein paar Jahren in Oberstaufen lebt, findet die Idee gut. „Die Einheimischen duzen einen doch sowieso. Wenn es allgemein so üblich ist, finde ich das vollkommen in Ordnung.“ Seine Frau ist da allerdings ganz anderer Meinung: „Ich mag nicht gleich von jedem geduzt werden. Ich gehöre zu einer Generation, die das nicht kennt. Das Distanzierte liegt mir mehr als das Kumpelhafte“, sagt Maria Kohl.
Um ein Bild davon zu bekommen, was die Mehrheit der Gäste will, soll der Versuch in Oberstaufen den ganzen Sommer lang laufen, sagt Tourismus-Chefin Bianca Keybach. „Der erste Eindruck ist positiv. Vor allem die Gäste aus den südlichen Bundesländern und der Schweiz reagieren begeistert, manche richtig überschwänglich.“
Auffallend sei, dass sich die Urlauber am „Du“-Schalter länger aufhalten. „Der Gast öffnet sich, das ist sehr schön.“ Dennoch werde die Tourist-Information nach dem Versuch entgegen erster Pläne nicht komplett auf „Du“ umstellen. Selbst wenn nur ein kleiner Teil der Gäste die vertrauliche Anrede ablehnt, sei es unhöflich, diese Menschen zu duzen. „Letztendlich ist der Gast König. Sein Wunsch steht für uns immer an oberster Stelle.“
Es gibt sie aber, die Orte, an denen Jung und Alt grundsätzlich geduzt werden. Auf Berghütten oberhalb von 1000 Metern zum Beispiel. Oder in den Hotelanlagen des Robinson Clubs. „Bei uns werden grundsätzlich alle Gäste geduzt. Das ist der Grundstein unserer Philosophie“, sagt Sabine Ernst, Sprecherin der Robinson Club GmbH in Hannover. Die Gäste würden über diese Umgangsform zu Beginn ihres Urlaubs an der Rezeption informiert. „Viele Gäste fahren wegen dieser Philosophie bewusst in einen Robinson Club. Aber auch diejenigen, für die das neu ist, nehmen es gerne an.“ Sollte ein Gast lieber beim förmlichen „Sie“ bleiben wollen, würde dies vom Personal berücksichtigt.
In Oberstaufen ist die neue Situation sowohl für die Gäste als auch für die Mitarbeiterinnen im Haus des Gastes ungewohnt. „Man ist so erzogen worden, einen Fremden zu siezen. Deshalb rutscht mir manchmal während des Gesprächs noch ein Sie raus“, sagt Nicole Blechinger. Die Leiterin des Gäste-Services hat zum Start der Aktion den „Du“-Schalter übernommen. „Die positiven Reaktionen überwiegen“, fasst sie die Erfahrungen der ersten Tage zusammen.
Wichtig sei, die Menschen zu beobachten, wie sie an den Schalter herantreten. „Wenn der Gast das Schild registriert und bewusst zu mir kommt, lege ich gleich mit dem Du los. Wenn jemand versehentlich hier landet, weise ich ihn höflich darauf hin, dass wir uns an diesem Schalter duzen.“ Bislang habe noch niemand daraufhin den Schalter wechseln wollen.
Doch es passiert immer wieder, dass die Gäste die Fuß-Aufkleber im Eingangsbereich übersehen und an den erstbesten freien Schalter gehen. Auf diese Weise ist auch Carla Speer aus Oberammergau mit ihrem Mann versehentlich am „Du“-Schalter gelandet. Als Blechinger das Paar darauf anspricht, winkt es sofort ab. „Nein danke, wir bleiben lieber beim Sie.“ Carla Speer erklärt später, sie sei selbst im Tourismus tätig und halte nicht viel vom vorschnellen Duzen. „Im Dienstleistungsbereich finde ich das Sie einfach höflicher.“