Reise-Berichte Jersey und Guernsey: Inselvölker mit Marotten

Die Bewohner der Kanalinseln Jersey und Guernsey pflegen ihre Eigenständigkeit — und ihre Eigenarten. Bis hin zur Kuh-Rasse.

Foto: dpa/Britainonview.com

Chief-Inspector Barnaby, der mit der gleichnamigen Krimi-Serie weltweit Erfolge feierte, hat sich auf der Kanalinsel Jersey, auf der er immer mal wieder residiert, ein literarisches Denkmal gesetzt. Nicht, weil Barnaby, der mit bürgerlichem Namen John Nettles heißt, vielfacher Millionär ist, was sich auf Steueroasen wie Jersey bestens rechnet, sondern weil der Historiker John Nettles mit seinem Buch „Hitlers Inselwahn“ Aufsehen erregte.

Allgegenwärtig ist dort noch die Besatzungszeit unter den Deutschen im Zweiten Weltkrieg, die die Inselbewohner traumatisiert hat. Die Hinterlassenschaften des Krieges sind unübersehbar. Doch die Insulaner haben es geschafft, sie auf ihre Art zu nutzen. Die gigantischen Panzersperren an Stränden sind willkommene Barrieren bei Sturmfluten und zähmen zudem Wanderdünen in ihrem Bewegungsdrang.

Die Wachtürme entlang der gesamten Küste wurden teilweise zu Ferienwohnungen umgebaut und die „War Tunnels“ auf Jersey sind ein Touristen-Magnet. Man sollte sie sehen, um zu begreifen, was das NS-Regime und seine Bautruppe, die Organisation Todt, angerichtet haben. Der Preis dieses Festungswahnsinns kostete Tausende Zwangsarbeiter das Leben.

Die Bewohner auf Jersey, Guernsey und Co. waren gen Kriegsende fast dem Hungertod nahe, weil Churchill die Lebensmittel-Zufuhren abschneiden ließ. Ziel war es, die deutschen Soldaten auszuhungern, aber getroffen wurde gleichermaßen die Inselbevölkerung. Die ist, damals wie heute, von ganz besonderem Zuschnitt.

Vom warmen Golfstrom umspült, lässt sich auf den Ärmelkanal-Schönheiten wohlig warm und gut leben — als Einwohner und als Tourist. Breite, schöne Badestrände und eine naturschöne Landschaft locken. Und — englischen Gepflogenheiten zum Trotz — es lässt sich dort gut essen. Dem französischen Einfluss, der Austern-, Hummer- und Muschelzucht vor Ort sowie dem guten Fischfang sei Dank. Diesen Luxus können sich fast alle leisten, nicht nur die Reichen. Maximal zehn ausgesprochen vermögende Einreisewillige lässt man pro Jahr auf die Insel Jersey, um das Sozialgefüge nicht zu gefährden. Wer ohne Geldkoffer anreist und bleiben will, der muss berufliche Fähigkeiten mitbringen, die man auf der Insel benötigt.

Gelegentlich macht man schon mal Ausnahmen, wie seinerzeit bei Victor Hugo, exzentrischer französischer Schriftsteller. Der floh nach Jersey, weil er sich mit Napoleon III. angelegt hatte. Es dauerte nicht lange, bis Hugo auch auf Jersey dank seines losen Mundwerks wieder die Koffer packen musste und auf die Nachbarinsel Guernsey zog, auf der er 15 Jahre blieb und unter anderem „Les Miserables“ schrieb. Sein Wohnhaus mit Meeresblick ist heute zu besichtigen. Die Stadt Paris trägt die Kosten für die Instandhaltung.

Man sollte meinen, dass die beiden Kanalinseln Jersey und Guernsey noch viel mehr verbindet als das Vermächtnis eines Victor Hugo. Dem ist aber nicht so. Genauso, wie sich die Inseln ihre Eigenständigkeit gegenüber England erhalten haben und lediglich Kronbesitz sind, genauso willensstark haben sie sich untereinander abgegrenzt. Jede für sich hat eine eigene Regierung, eine eigenen Nationalhymne und eigene Währung. Wer mit dem englischen Pfund auf Jersey bezahlt, erhält Jersey-Pound als Wechselgeld. Und mit Jersey-Pound in der Tasche lässt sich auf Guernsey wenig ausrichten.

Selbst bei den Kühen setzt man auf eine eigene Insel-Rasse. Die Jersey-Kuh ist fast im Rang eines Nationalheiligtums. Ihr rehbraunes Fell, die Plüschohren und die großen braunen Augen lassen jeden Jerseyaner tief seufzen und schmückt alles, was sich bedrucken lässt.

Guernsey dagegen, dessen Bevölkerung gern von den eher mondänen Jersey-Insulanern als „donkey“ (Esel) bezeichnet wird, hält sich schwarz-weiße Rindviecher. Ihnen werden bei kühleren Temperaturen — also solche, die auf dem Festland unter frühlingshaft laufen — wärmende Decken umgelegt, da die Kühe das ganze Jahr auf der Weide stehen und Ställe nur vom Hörensagen kennen.

Beide Inselvölker, die auf Guernsey und die auf Jersey, stellen jedoch gleichermaßen gern Schilder mit freundlichen, aber unmissverständlichen Verhaltensregeln auf. Da kommt selbst deutscher Ordnungssinn ins Staunen. Unbelehrbare Deppen an Bord der Fähre von Jersey nach Guernsey werden auf unübersehbaren Tafeln ermahnt, dass das Meer kein mit Wasser gefüllter Abfalleimer ist. Geradezu anrührend dagegen die Mahnung entlang kleiner Inselstraßen auf Jersey: „Swan crossing“. Weil es den Insulanern an Wildtieren mangelt, hegen und pflegen sie alle Kreaturen, die sich auf dem Eiland niedergelassen haben, so eben auch Schwäne, die Vorfahrt genießen. Für die heiß geliebten braunen Eichhörnchen — die fetten grauen mag man nicht sonderlich — werden dicke Seile über die Straße gespannt, damit das putzige Nagetier sicher von A nach B kommt.

Der Natur zutiefst verbunden fühlen sich ebenfalls die Mitglieder des „Royal Jersey Golf Clubs“, die bei ihren 18 Loch mit einem ähnlich spektakulärem Blick aufs Meer, das benachbarte Mont Orgueil Castle und die französische Küste verwöhnt werden, wie einst Victor Hugo in seinem Haus auf Guernsey. Dass im exklusiven Golfclub auch die „Royal Juniors“ schon in großer Zahl mitspielen, ist dem gut gefüllten Geldbeutel ihrer Eltern zu verdanken.

Ansonsten gibt sich der Reichtum auf den Inseln eher zurückhaltend und teilweise auch sehr wohltätig, was zum guten Ton der Insel-Upperclass gehört. Man wird zudem nicht müde zu erwähnen, dass das Anwesen, das man nach einer Auffahrt sichtet, die gefühlte fünf Kilometer lang ist, im Vergleich zu den englischen Herrenhäusern eher bescheiden daher komme.

Genauso bescheiden, wie zumindest von außen, ist die St. Matthew’s Glass-Kirche in Saint Aubin’s Bay auf Jersey. Der vom französischen Jugendstilkünstler René Lalique komplett in Glas ausgestattete Innenraum der Kirche ist das Vermächtnis der vermögenden Lady Florence Trent. Sie war befreundet mit Lalique und gab ihm 1934 den Gestaltungsauftrag. Die gläserne Kirchen-Schönheit sollte an ihren verstorbenen Gatten Jesse Boot, Baron Trent, erinnern, Gründer einer Drogeriekette.

Wer der Kultur, Natur und skurriler Sehenswürdigkeiten überdrüssig ist, kann sich beim einheimischen Bier namens „Mary Anne“ und Absonderlichkeiten wie „Lasagne mit Pommes“ und „Pommes mit Käse überbacken“ überlegen, ob er sich für die frischen Windböen am Abend doch noch einen warmen Pullover aus Jersey-Wolle zulegen will. Aufgrund des Fettgehalts ist das Garn auch wasserabweisend, kratzt aber so heftig, dass man als Tourist vom Festland lieber den Schauer erträgt als den stacheligen Pullover. Die Insulaner sind nicht nur in diesem Punkt ganz anders gestrickt.