Land der Eichen und Felsen: Der Norden Sardiniens
Porto Torres (dpa/tmn) - Sardiniens Norden ist ein wilder Streifen Land fernab der verblassten Jet-Set-Legende Costa Smeralda. Es ist das Land der Eichenwälder, hohen Berge und weißen Sandbuchten, in dem Touristen in rustikalen Unterkünften Spanferkel serviert bekommen.
Manche Besucher aus Übersee unterwerfen sich geradezu unmenschlichen Terminkalendern, um in einer knappen Woche möglichst viele Staaten Europas zu bereisen. Kaum einer der ehrgeizigen Europareisenden weiß wahrscheinlich, dass er fast alle dieser Landschaften auch an einem Fleck haben könnte, komprimiert auf den ziemlich genau 100 Kilometern zwischen Porto Torres und Santa Teresa di Gallura an der Nordküste Sardiniens.
Der Weg von der Industriestadt Porto Torres nach Westen gleicht einer Tour durch die norddeutsche Tiefebene, so flach, so nüchtern wirkt die Halbinsel. So steif auch die Brise, die hier Maestrale heißt. Kein Sylter wird aber behaupten, seine Insel habe einen Strand wie die Spiaggia della Pelosa kurz hinter Stintino zu bieten.
Auf dem grellweißen Sand aalen sich sonnenölgetränkte Urlauber vom italienischen Festland, gegenüber trutzt ein Wehrturms auf einem Inselchen. Das wadentiefe Meer ist makellos, mal türkis, mal azurblau, umso dunkler, je steiniger der Grund. Um die Felsbrocken schwimmen Fische, gelb gestreifte Einzelgänger ebenso wie blasse Hundertschaften im Schwarm. Geduldige Schnorchler dürfen auf den Anblick eines Kraken hoffen, eines kleinen freilich, der bei zu großem Interesse rasch unter einen dicken Felsbrocken flieht.
Der Rückweg führt schnell vorbei am grauen Porto Torres immer an der Küste entlang, die auf dem Weg nach Castelsardo bald jäh abfällt, während zur Rechten die Macchia wuchert, Büsche von Wacholder, Lavendel und Ginster.
Castelsardo ist der touristischste Ort der Nordküste, aber auch der schönste, mit seiner sandfarbenen Burg hoch oben. Darunter klammern sich ocker-, beige- und roséfarbene Häuser an den Fels. Die Wellen führen sich hier so patzig auf, als schlügen sie an die Atlantikküste. Ein Wall aus rostroten Felsbrocken schützt den kleinen Stadtstrand vor ihnen. Ganz oben, auf den Zinnen der genuesischen Festung 114 Meter über dem Meer, kühlen das Eis und der Wind. An Sonnentagen sieht man auf der anderen Seite der Meerenge Korsika.
Eine Abzweigung führt von Castelsardo ins Landesinnere, und just am Ortsausgang gibt ein Vulkansteinbrocken in Form eines Elefanten eine Ahnung von der Landschaft namens Gallura, die bald beginnt. Keine 30 Kilometer Luftlinie vom Mittelmeer entfernt, in Richtung Tempio Pausania, geht es bergauf, immer weiter bergauf, über 500 Höhenmeter und durch das Städtchen hindurch, das nichts Mediterranes mehr hat, sondern ebenso gut die erste italienische Siedlung nach einer Alpenquerung sein könnte, grau, steinern und hoch. Und Tempio liegt nur am Fuß des 1359 Meter hohen Monte Limbara.
Die Wanderwege hinauf auf den Gipfel sind ausgeschildert. Es ist aber auch reizvoll, sich mit dem Auto hochzuschlängeln. Innerhalb einer Viertelstunde ist man mitten im Hochgebirge: Lärchen statt Pinien, Serpentine statt Corniche und vor allem kühle Frische statt Sommerhitze. Wanderer entspannen und picknicken auf Holzbänken oder, weiter oben an der Baumgrenze, auf rohen Felsen.
Von hier aus geht es in alle Richtungen nur bergab, sehr wahrscheinlich durch einen Korkeichenwald. Die Gegend um Tempio Pausania deckt vier Fünftel von Italiens beträchtlichem Korkenverbrauch. Die knorrigen Bäume sehen kurios aus, wenn ihre Rinde zur Hälfte geerntet ist und sie sich unten rotbraun und nackt, oben aber runzlig und grau zeigen.
Aus dem Hinterland führt die Strada Statale 133 nach Norden in Richtung Küste. Unterwegs liegt das Valle della Luna, ein endzeitliches Trümmerfeld, in dem die Insel vollends ihre südliche Leichtigkeit verliert. Die staubtrockene Ebene ist nur von gedrungenen Bäumen und unverwüstlicher Macchia bewachsen, am Horizont gesäumt von den Sägezähnen der umliegenden Berge.
Hausgroße Felsblöcke sind überall in dem flimmernden Tal verstreut, als hätten Riesen sie aus den Bergen gerissen und ins Tal herabgeschleudert. Bei der Fahrt über die einsame Straße durch das Tal ist es für einen Moment unvorstellbar, dass kurz dahinter das Mittelmeer liegt und nicht weitere tausend Meilen Einöde.
Umso prächtiger sind die Strände zwischen Vignola Mare und Santa Teresa di Gallura, wo die Küste nicht mehr schroff abfällt, sondern Dünen von der Landstraße zum weichen Sand herunterfließen. An der Nordspitze der Insel, thront das bezaubernde Städtchen Santa Teresa di Gallura über einer türkis strahlenden Bucht mit ihrer Sichel aus weißem Sand: dem Stadtstrand Rena Bianca. Es gibt einen kleinen Jachthafen, die Piazza ist gesäumt von einem Palazzo und zahlreichen Cafés. Europa, wie es die Gäste aus Übersee sich erträumten.