Mußestunden in Pekings Verbotener Stadt
Peking (dpa/tmn) - Pekings Kaiserpalast ist einer der letzten Orte, an denen sich die Vergangenheit der chinesischen Hauptstadt noch nachempfinden lässt. Jetzt wird die Anlage renoviert. Stille Gärten und versteckte Gewölbe erstrahlen bereits in neuem Glanz.
Dort, wo einst die „Söhne des Himmels“ regierten und Mao Tsetung 1949 die Volksrepublik China ausrief, herrscht an diesem Samstag Volksfeststimmung. Vor den gewaltigen roten Mauern stellen sich chinesische Familien für ein Foto auf, Jugendliche albern herum. Nur die Wachsoldaten verziehen keine Miene.
Pekings ehemaliger Kaiserpalast, die 600 Jahre alte Verbotene Stadt, ist ein Wunder - in mehr als einer Hinsicht. Beim Rundgang beeindrucken die schiere Größe und architektonische Leistung. Warum sich beschränken, wenn es auch im XXL-Format geht: Über 72 Hektar erstreckt sich die Anlage mitten in Peking, vom Süd- bis zum Nordtor läuft man fast einen Kilometer. Die Zahl der Zimmer wird mit 9999 angegeben, was den Buckingham Palace der Queen in London mit 600 Räumen bescheiden wirken lässt.
Ein Wunder ist auch, dass die Verbotene Stadt überhaupt noch existiert. Dass die Maoisten beim großen Aufräumen in der Nachkriegszeit und während der Kulturrevolution ausgerechnet den alten Kaisersitz verschonten, ist in der Nachbetrachtung genauso erstaunlich wie die Toleranz der heutigen Machthaber. Denn auch die gegenwärtigen Regenten neigen dazu, gnadenlos abzureißen, was der Modernisierung der Elf-Millionen-Stadt im Weg steht.
In Vorbereitung auf die Olympischen Spiele von 2008 wurde ohne Bedenken Kahlschlag angerichtet, um Platz für neue Schnellstraßen oder Luxuseinkaufszentren zu schaffen. Peking unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von anderen asiatischen Metropolen wie Hongkong, Bangkok oder Tokio. Von den neben der Verbotenen Stadt liegenden Hutongs - den flachen, grauen Häusern der Altstadt mit einem Netz an Innenhöfen - ist in wenigen Jahren die Hälfte verschwunden.
Die Verbotene Stadt konnte dem Modernisierungswahn bislang jedoch widerstehen. Tatsächlich befindet sie sich nach Jahren der Vernachlässigung gerade in einem millionenteuren Restaurierungsprozess durch das Palastmuseum und den privaten gemeinnützigen World Monuments Fund in New York. Es ist das erste Mal, dass das Palastmuseum mit einer ausländischen Einrichtung zusammenarbeitet. Bis 2020 soll das Projekt abgeschlossen sein. Die ersten Erfolge im Nordostquadranten der Anlage sind schon zu sehen.
Der Kaisersitz kann in zwei Abschnitte unterteilt werden. Wenn man auf der Südseite unter dem Mao-Bild durch das wie ein Mauseloch wirkende „Tor des Himmlischen Friedens“ eintritt, befindet man sich im Äußeren Hof. Hier lag die Regierungszentrale der 24 Kaiser, die seit dem 15. Jahrhundert mit 2000 Hofangestellten, Konkubinen und Eunuchen in dem Palast lebten. Die Hallen und Plätze sind riesig.
Diesem Prunk als Regent ausgeliefert zu sein, war noch weniger als in anderen Königshäusern ein Spaß. Im Gegensatz zu den Hofbeamten, die oft in eigenen Residenzen in Saus und Braus lebten, besaß der Kaiser kaum Rückzugsmöglichkeiten, sein Tagesablauf war streng geregelt. Wer die formale Möblierung der Thronsäle und kaiserlichen Schlafgemächer sieht, bekommt schon vom Hingucken Rückenschmerzen.
Kein Wunder, dass die Kaiser so oft wie möglich aus der Verbotenen Stadt flohen. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts vorzugsweise in den Sommerpalast am Fuß des „Berges der Barmherzigkeit und des Langen Lebens“ vor den Toren Pekings. Hier war ein legeres Leben möglich. Der Sommerpalast ähnelt architektonisch dem Hauptsitz. Wegen der romantischen Lage an einem See ist er einen Besuch wert, selbst wenn von der einst riesigen Anlage nur noch ein Bruchteil übrig ist.
Den zweiten Teil der Verbotenen Stadt bildet der nördliche Innere Hof. Statt mit Repräsentationsplätzen sind die Gebäude mit kleinen Innenhöfen durchsetzt. Hier lebte der Kaiser mit seiner Familie und dem Hofstaat. Höhepunkt und nun nach fast einem Jahrhundert erstmals renoviert der Qianlong-Garten mit dem „Palast des Ruhevollen Alters“. Er stammt aus dem Jahr 1776, als gerade die Vereinigten Staaten ihre Unabhängigkeit erklärten.
Chinas Herrscher schied eigentlich erst mit dem Tod aus dem Dienst, der Qianlong-Kaiser verzichtete jedoch nach 60 Jahren zugunsten seines Sohnes und baute sich für seine letzte Lebensspanne ein kleines Paradies. Im Qianlong-Garten hat man die in Peking selten gewordene Gelegenheit, in Ruhe herumzuwandern. Nur wenige Besucher der Anlage verschlägt es hierher. Die Innenhöfe sind nach den Regeln des Feng Shui gestaltet mit Lavasteinen, Wasser und gestutzten immergrünen Bäumen. Für die Inneneinrichtung wurde chinesisches und europäisches Kunsthandwerk zusammengetragen: Bambusintarsien, Jadeschnitzereien und Ölmalereien.