Reise mit Robinson-Gefühl: Tag am Great Barrier Reef
Town of 1770 (dpa/tmn) - Wenn die Seevögel nicht so viel gekleckert hätten, sähe Lady Musgrave Island vor Australiens Ostküste ganz anders aus. Die kleine Pazifikinsel war einst eine Ansammlung zerbrochener Korallen und Muscheln.
Dann kamen die Himmelsbewohner.
Mit ihrem Kot brachten sie die Nährstoffe und die Samen mit, aus denen die üppige Tropenvegetation heranwuchs. 50 Pflanzenarten gibt es auf dem klitzekleinen Eiland, das mit Lady Elliot Island das Südende des gut 2300 Kilometer langen Great Barrier Reefs markiert. Wegen seiner Lage blieb es von den jüngsten Naturkatastrophen in Queensland verschont: Zyklon „Yasi“ zog deutlich weiter im Norden seine Bahn, die schweren Überschwemmungen betrafen nur das Festland.
Jeden Tag fährt ein Schiff zu diesem kleinen Flecken Australien im Ozean. Ausgangspunkt ist ein Ort mit dem seltsam klingenden Namen Town of 1770 - so benannt, weil der Entdecker James Cook in jenem Jahr an dieser Stelle erstmals seinen Fuß auf den Boden des heutigen Queensland setzte. Etwa 90 Minuten dauert die Reise mit dem schnellen Katamaran hinaus aufs Meer, unterwegs lassen sich mit etwas Glück Buckelwale beobachten. Eineinhalb Stunden geht es am Nachmittag auch zurück, dazwischen liegen gut fünf Stunden Lagunen- und Rifferlebnis.
Es gibt Reisegruppen aus China, die diesen Ausflug als Tagestour von der Millionenstadt Brisbane aus unternehmen - inklusive zwei langer Busfahrten dauert der Trip 21 Stunden. Town of 1770 liegt eben nicht nahe an Queenslands großen Touristenzentren wie Cairns, Townsville und den Whitsunday Islands. Die Abgeschiedenheit ist aber ein Vorteil: Massentourismus gibt es auf Lady Musgrave Island nicht.
In der Lagune ist ein Ponton verankert, an dem die „Spirit of 1770“ festmacht. Taucher schlüpfen schnell in ihre Neoprenanzüge, Schnorchler setzen die Masken auf, um im seichten Wasser leuchtend blaue Seesterne und rostrote Korallen zu bestaunen. Wer sie sehen möchte, ohne sich dabei anzustrengen, kann Fahrten mit einem Boot unternehmen, das unter der Wasserlinie Fenster hat.
Ein anderer kleiner Kahn fährt von der schwimmenden Plattform hinüber zu der Insel, die 1807 von einem Walfänger entdeckt wurde. Benannt wurde sie nach der Ehefrau eines Queensland-Gouverneurs im 19. Jahrhundert, die selbst niemals hier gewesen ist.
Touristenführerin Jessie Bridges zeigt ihren Gästen als erstes die Pisonia-Bäume. Deren Samen verhaken sich wie eine Klette im Gefieder der Vögel, so dass sie nicht mehr fliegen können - und sterben. „Es gab mal eine Saison, da lagen hier 20 000 tote Vögel. Für die Touren musste ein Besen mitgenommen werde, um erstmal den Weg zu reinigen“, erzählt Bridges. Von September bis Mai sind manchmal bis zu 40 000 Black Noddies hier, im Südhalbkugel-Winter ziehen sie nach Papua-Neuguinea.
Für alle, die Lady Musgrave Island nicht nur fünf Stunden lang erleben möchten, gibt es einen Zeltplatz für maximal 50 Besucher. „Für die Zeit der Sommerferien ist er manchmal ein Jahr im Voraus ausgebucht“, erzählt Jessie Bridges. Mancher Urlauber auf der Suche nach einem Robinson-Crusoe-Erlebnis kommen mit dem Ausflugsboot, andere reisen mit eigenen Jachten an.
Sie müssen alles mitbringen, was sie brauchen, vom Gaskocher bis zum Trinkwasservorrat. Und wer dann von der Hängematte aus einen Black Noddy beobachtet, der voller Pisonia-Samen hilflos mit den Flügeln schlägt, darf nicht eingreifen. Denn so sehr die Vögel weiterhin als Insel-Baumeister benötigt werden - auf Lady Musgrave Island hat sich alles der Natur unterzuordnen.