Neuseeland: Grüße aus dem Inneren der Erde
Traumhafte Wanderung auf der Nordinsel: Wo „Herr der Ringe“ gedreht wurde.
Wellington. Der Tag ist klar wie Kristall. Die Sonne schickt warme Strahlen. Am Horizont zeichnet sich der Gipfel des Mount Taranaki ab, schneebedeckt und 150 Kilometer entfernt. „Das ist sehr selten”, sagt Bergführer Stewart Barclay. „Traumhafte Bedingungen.”
Die Tongariro Crossing gilt als schönste Tageswanderung Neuseelands. Als Kulisse im Zentrum der Nordinsel dienen der 20 Kilometer langen Tour die Vulkane Mount Ruapehu, Mount Ngauruhoe und Mount Tongariro.
Die Tour startet auf 1100 Höhenmetern. Die ersten eineinhalb Stunden gleichen einem lockeren Spaziergang. Der Weg führt durch eine Landschaft aus schwarzem Vulkangestein.
Der Mount Ngauruhoe kommt immer näher, ein „Bilderbuch-Vulkan“ mit perfektem Kegel. An seinen Hängen liegt Schnee — obwohl Ende Oktober schon der Sommer der Südhalbkugel vor der Tür steht.
Stewart, kurz Stew, scherzt: „Wir nehmen Eispickel mit. Wahrscheinlich braucht ihr sie gar nicht, aber auf Fotos sieht das super aus.”
Stew hat schwarzes, kurzgeschorenes Haar, an den Schläfen ist es grau meliert. Er ist vielleicht Mitte 40, trägt eine lässige Sonnenbrille auf der Nase und auf dem Rücken einen großen Bergsteigerucksack. Und natürlich kurze Hosen, wie sich das für einen Neuseeländer gehört.
Die Tongariro Crossing geht er mit Wanderfreunden aus aller Welt fast jeden Tag — wenn es das Wetter erlaubt. „Langweilig wird die Strecke nie. Für mich ist das einer der schönsten Arbeitsplätze der Welt.“
Langsam wird der Atem für ausführliche Gespräche knapp. Es wird steiler: Devil’s Staircase, Teufels Treppenhaus. 45 Minuten in Serpentinen nach oben, durch erstarrte schwarze und rostbraune Lavaströme, die von längst vergessenen Ausbrüchen künden. Der Schweiß fließt. Über lange Passagen gibt es Stufen. Die Strecke ist beliebt, oft überlaufen, der Weg deshalb gut präpariert.
Oben werden die Augen zu schmalen Schlitzen. Die Sonne blendet. Im South Crater, den alle Wanderer durchqueren müssen, liegt Schnee. Eine weite, weiße Ebene, die Eiskristalle reflektieren erbarmungslos. Wo die Strahlen des Planeten schmale Streifen in die Schneedecke gebrannt haben, durchbricht der dunkle Kraterboden die weiße Wüste — eine marmorierte Vulkanlandschaft bei Kaiserwetter.
An der rechten Flanke thront der Ngauruhoe, der Schicksalsberg im Filmepos „Der Herr der Ringe“. Er raucht in den blauen Himmel. „Bald bricht er sicher wieder aus”, lacht Stew. 1977 war das zum letzten Mal allerdings kein Scherz. Beim Ruapehu ist es erst drei Jahre her.
Wieder geht es hinauf, über den schmalen Grat braust der Wind. Der Weg wird zum Pfad, immer wieder verschwindet er mehrere Meter lang unter Schnee. Das macht die Tritte unsicher, auch der Pickel kommt nun zum Einsatz — und sei es nur, um sich an etwas klammern zu können.
Bei 1900 Metern ist der höchste Punkt der Tour erreicht, der Red Crater. Wie roter Samt spitzt sein Schlund durch den Schnee. Der Blick fällt auf die Emerald Lakes. Die drei Seen schimmern als grünblaue Farbtupfer im Kontrast zum gleißenden Weiß.
Der Hang hinunter ist ein perfekter Platz für die Mittagspause: windgeschützt, frei von Schnee und mit eingebauter Sitzheizung. Die Erde ist wohlig warm — dem Vulkan sei Dank.
Zwei Kilometer in der Ferne wird der Blue Lake seinem Namen nicht gerecht. Er ist zugefroren und sieht aus wie eine Autoscheibe nach einer langen Winternacht.
Bei solch einer fantastischen Aussicht wird jedes noch so pappige Sandwich zu einem kleinen Festmahl.
Vorbei führt die Route an den Ufern des sonst so blauen Sees, dann folgt ein langer Abstieg, hinunter bis auf 700 Höhenmeter. Der Schnee wird allmählich zu Matsch, die Wanderstiefel patschen hindurch. Irgendwann verschwindet die grauweiße Pracht.
Dafür dringt nun ein beißender Geruch in die Nase. Aus Löchern in der Erde steigt Dampf empor. Heiße Quelle bringen einen Gruß aus dem Erdinneren mit nach oben. Es stinkt erbärmlich nach Schwefel. So verabschiedet sich eben ein Vulkan.