Spaziergang zum Tor der Hölle: In Gouda ist nicht alles Käse

Gouda (dpa/tmn) - Gouda ist weltbekannt für seinen Käse, aber es gibt einen besseren Grund für einen Besuch in der holländischen Stadt: Gouda ist schön. So schön, dass selbst das Tor zur Hölle malerisch wirkt.

Der holländischen Stadt Gouda geht es wie Meißen mit seinem Porzellan oder Pilsen mit seinem Bier. Man denkt bei ihrem Namen nicht etwa an ein Städtchen mit schmucken Bürgerhäusern, sondern an ein Produkt, den Gouda-Käse. Mittlerweile wird mehr Gouda in Deutschland oder Polen hergestellt als in den Niederlanden - der Name ist nicht geschützt.

So muss man schon lange nicht mehr des Käses wegen nach Gouda kommen, auch wenn es dort ein Käsemuseum gibt und im Sommer einen Käsemarkt. Für eine Reise in die 70 000-Einwohner-Stadt bei Rotterdam finden sich bessere Gründe. Gouda ist Holland aus dem Bilderbuch: eine verwinkelte Welt. Schwäne ziehen über das unbewegte Wasser der Kanäle. Selbst das gotische Rathaus hat mit seinen roten Fensterläden und zierlichen Skulpturen etwas Puppenstubenhaftes. Die zusammengedrängten Häuser strahlen eine Geborgenheit aus, wie sie moderne Städte nicht mehr vermitteln können.

Größter Schatz der Stadt sind die „Goudse Glazen“, die „Goudaschen Gläser“: 70 Buntglasfenster in der Sint Janskerk. Sie stammen aus den unterschiedlichsten Epochen, vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, und bilden doch eine Einheit. Ganz von allein richtet man hier den Blick gen Himmel. Man darf nur nicht den Fehler machen, sich den Besuch für einen Regentag aufzusparen. Die Sint Janskerk muss man zwingend bei Sonnenschein besuchen, nur dann kommt das Farbenspiel der Fenster zur Geltung.

Jedes Fenster erzählt eine eigene Geschichte. Da lässt sich zum Beispiel die Belagerung von Leiden nacherleben. Die Stadt war 1574 eines der letzten Bollwerke im Freiheitskampf der Niederländer gegen die übermächtigen Spanier. Als die Lage schon aussichtslos schien, durchstachen die Rebellen des Wilhelm von Oranien die Deiche - und das unter dem Meeresspiegel liegende Land wurde überflutet. Die Spanier flohen, aber die Niederländer fuhren mit ihren Schiffen bis an die Stadtmauer heran und versorgten die hungernden Bewohner mit Lebensmitteln. All dies ist auf dem Fenster zu sehen: die stachelige Silhouette der Stadt, die geschwellten Segel der Schiffe, das markante Vollbartgesicht des Prinzen von Oranien.

In vielen niederländischen Kirchen wurden die Farbfenster im 16. Jahrhundert von radikalen Calvinisten herausgerissen. Es war eine massenhafte Vernichtung von Kulturgut. Doch in Gouda kamen die Fanatiker nicht zum Zug. Die Stadt war - anders als damals Amsterdam - ein Hort der Toleranz.

Wer heute die verschwiegenen Winkel Goudas erkundet, wird sich nur schwer davon überzeugen können, dass die Stadt auch ihre Schattenseiten hatte. Wie außerordentlich malerisch wirkt das „Lazaruspoortje“, doch einst war es das Tor zur Hölle - das Aussätzigenhaus. Im Gefängnis von Gouda ließ der Maler Rembrandt 1650 seine frühere Geliebte Geertje Dircx einsperren, nachdem er eine Affäre mit einer Jüngeren begonnen hatte. Erst fünf Jahre später wurde Geertje von einer Freundin befreit - gegen Rembrandts erbitterten Widerstand. Aber über all das ist die Zeit hinweggegangen.

Auf dem Marktplatz hat sich sogar die Akustik Alt-Hollands erhalten. Vom Rathaus wehen jede halbe Stunde die Melodien eines Glockenspiels herüber - folgt man den Klängen, sieht man, dass die Spieluhr mit beweglichen Figuren ausgestattet ist. In solchen Momenten kann man „lekker wegdromen“, wie der Niederländer sagt: Erinnerungen nachhängen und die Gedanken schweifen lassen. Dafür ist Gouda wie geschaffen.