In der Wüste des Emirats Abu Dhabi: Luxus-Camping im Sand vor den Toren der Oasenstadt Al Ain Zu Besuch bei den Gazellen
Sie schaut, als hätte sie hier niemanden erwartet. Als wundere es sie, dass dort jemand im Schatten einer Palme auf einem bunten Kissen vor dem Zelt im rotgelben Sand hockt. Lange starrt sie absolut reglos aus den zwei schwarzen Knopfaugen, weiß nicht, ob sie weiter schauen, vorbeilaufen oder umkehren soll.
Die Oberschenkelmuskeln beginnen zu zucken unter dem sandfarbenen Fell, und fast in derselben Sekunde rennt sie auch schon: Flucht in Gegenrichtung, weit weg von Mensch, Kissen und Zelt. Weil sich dieser Fluchtreflex seit Jahrtausenden bewährt hat und im Blut liegt. Fast scheint sie dabei in ein paar Zentimetern Höhe über dem Boden zu fliegen, wie auf einem Luftkissen, elegant, rasant, ohne jede Schwerfälligkeit, die der tiefe, weiche Sand einem eigentlich abfordern müsste – und weg ist sie. Unsichtbar. Verschwunden. Wahrscheinlich in einem Dünental verschnaufen und vorsichtig umschauen.
Gazellen sind in der Wüste
perfekt getarnt
Die Gazellen aus der Wüste um Al Ain im Emirat Abu Dhabi brauchen keine Bäume, kein Dickicht, um sich zu verstecken, es genügt ihnen der nackte Sand, um plötzlich abzutauchen. Sie sind zahlreich hier, Begegnungen wie diese so gut möglich wie die Beobachtung eines Rehs beim frühen Morgenspaziergang in einem mitteleuropäischen Waldstück. Und dort wie hier ist die Chance in der Dämmerung am größten: in der halben Stunde vor Sonnenaufgang und den nächsten paar Minuten danach – und dasselbe mit umgekehrten Vorzeichen am Abend.
Eines nur muss man so viel näher am Äquator wissen: Es ist schnell sehr hell – und heiß. Oder dunkel. Auf Gazellen-Pirsch zu weit hinauslaufen sollte man nicht. Und die eigenen Kräfte überschätzt man besser auch nicht: „Die Tiere der Wüste können über diesen Sand fliegen, Menschen sacken an den Hängen der Dünen mit jedem neuen Schritt nur allzu oft wieder knöcheltief ein und kommen nur langsam voran“, sagt Helal Ahmed al Kuwaiti, der in der Gegend von Al Ain aufgewachsen ist. So recht bewusst wird einem das meistens erst auf dem Rückweg.
Die Wüste ist weit und überwiegend flach im Hinterland der Emirate-Hauptstadt Abu Dhabi. Im Rücken liegt das Bergmassiv des mehr als 1000 Meter hohen Jebel Hafeet als riesiger Monolith, weiter weg folgt das Hajjar-Gebirge und ebenso in der Ferne leuchtet nachts die Lichtglocke der Oasen-Großstadt Al Ain – längst eine Metropole mit mehr als einer halben Million Einwohnern.
Der Wind zeichnet wunderschöne Rillen in den Dünensand
Manche Flächen sind hell, fast weiß, und büschelweise klammert sich genügsames Halfagras an den ungastlichen Untergrund. Kamele stehen im Sand, Hirten melken die Weibchen zweimal am Tag. „Es gibt sogar fünf Jahrtausende alte Gräber in der Gegend und Spuren von Tongeschirr und Werkzeugen, die darauf schließen lassen, dass hier ein wichtiger Schnittpunkt von Karawanenwegen gewesen sein muss“, erklärt Ali al Meqbali, der bei Ausgrabungen in der Nähe des Jebel Hafeet mitgearbeitet hat.
Nordöstlich schließen sich plötzlich Dünen mit den Rillen an, die der Wind ebenso schön wie gleichmäßig in den Sand gezeichnet hat. Und irgendwo am Horizont recken sich noch ein paar Palmen in den Himmel, dahinter ist eine Überlandleitung parallel zur Landstraße gespannt. Im Vordergrund bleibt die Bilderbuchwüste mit ihrem ganzen Zauber.
Anderswo in der Welt soll es Zelte geben, die sind ein wenig einfacher ausgestattet – nur mit einem Ausgang mit Reißverschluss statt mit zwei Türen, Schloss und Schlüssel. Ohne gemauerten Grillplatz und Sitzecke im Freien neben den stramm gespannten Leinen, die alles fixieren und ohne Polsterkissen mit bunten Mustern im Sand. Und vor allem ohne Dusche und alkoholfreie Minibar unter den Zeltbahnen, ohne breites Bett und Ledersessel, ohne unter den Stoff konstruiertes Bad mit gefliester Dusche – und ohne Wasseranschluss, gespeist aus einem großen Tank, der abseits vergraben ist. Hier gibt es all das, denn auch wer zeltet, sucht in den Emiraten diesen Luxus – jedenfalls als Einheimischer, und von denen lebt das Zelthotel im Wüstensand gut ein Dutzend Kilometer außerhalb von Al Ain, zwei Autostunden Fahrt von Abu Dhabi-Stadt.
Überwiegend Emiratis sind es, die es sich in einem dieser XXL-Zelte mitten in einem großen privaten Schutzgebiet gemütlich machen. Warum? Weil sie von dieser Wüste nicht lassen können. Sie ist das Wohnzimmer der Vorfahren, die Gegend, in der all die Lagerfeuer-Geschichten von früher spielen, die Märchen. Dabei wollen sie den Komfort nicht missen, den ihnen die eigene Villa oder ein Luxushotel am Meer inzwischen bietet. Da passt es gut, dass so ein 120 Quadratmeter großes Zelt im Sand dauerhaft aufgestellt ist und knapp zwei Meter fünfzig Deckenhöhe hat – und Stromanschluss für Föhn und Rasierer. Und Fernsehen.
Sterne zählen und
der Stille lauschen
Dabei könnte man ja ersatzweise einfach rausgucken, sich bei Dunkelheit in den Sand setzen oder legen, die Milchstraße anschauen und Sterne zählen – und sich vom Zimmerservice ein paar große Fruchtcocktail und eine riesige Platte bunt gemixter Vorspeisen, die arabische Meze, per Auto vom Restaurant des Wüstenhotels über den befestigten Zufahrtsweg an den Zelteingang bringen lassen. Und man könnte in die karge Natur lauschen, die auch nachts Geräusche hervorbringt.
Manchmal ist es spannend, einheimische Gäste beim Beobachten zu beobachten – und zu sehen, wie fremd ihnen der eigene Sand geworden ist und wie fasziniert sie ebenfalls schauen oder horchen und fühlen, wenn sie im Sitzen neben sich greifen und ganz beiläufig und irgendwie meditativ den warmen Sand langsam durch die Finger rinnen lassen, als würde die Faust plötzlich zu einer Eieruhr. Es ist wohl kaum eine bewusste Handlung. Ali al Meqbali tut es ebenso wie Helal Ahmed al Kuwaiti und jeder andere. Als ob man diesen Sand einfach anfassen muss, wenn so viel davon da ist, er so fein und so warm ist und über den Tag so viel Energie aufgenommen hat.
Dabei ist das mit dem Schutzgebiet etwas zweischneidig. Vor Raubtieren sind die Gazellen und Antilopen hier geschützt. Zugleich aber ist das Gelände auch privates Jagdgebiet, so ein Zelt auch mal das Quartier eines Jägers, das Zeltlager auch mal Jagdhotel. Die neugierige Gazelle neulich am frühen Abend wird davon nichts gewusst haben – oder hatte es bis zur plötzlichen Flucht vergessen.
Wie gut, dass sich immer öfter Gäste einmieten, die nur mit dem Fotoapparat jagen. Das Bild wird dann so etwas wie eine Trophäe in den eigenen Erinnerungen. Es bleibt im Gedächtnis ebenso wie dieser ständige Griff in den Sand und das Gefühl der winzigen, warmen, irgendwie weichen Körnchen.
Der Autor reiste mit Unterstützung der Tourism and Culture Authority Abu Dhabi.