Von Ägypten nach Indien: Abenteuer auf hoher See
Palmen, Piraten-Alarm und Passkontrollen: Was Kreuzfahrer auf der Transasien-Route erleben.
Sharm El-Sheikh/Cochin. "Einäugige Kollegen waren heute Nacht nicht unterwegs." Wie es sich für einen waschechten norddeutschen Seebären gehört, hat Aida-Kapitän Nico Berg immer einen charmant-maritimen Spruch auf den Lippen - erst recht, wenn er in südlichen Gefilden unterwegs ist.
So weckt er seine Passagiere mit dem kecken morgendlichen Hinweis, dass Piraten das Schiff mit dem Kussmund auch in dieser Nacht verschont haben und es ein ausgezeichneter Seetag bei November-Temperaturen um die 30 Grad werden wird, die Sonne also ihr Bestes gibt, während sich der Wind alles andere als verausgabt.
Von Deck Zehn, dem Paradies für Sonnenanbeter im Liegestuhl-Modus, und von Deck Sechs, dem Dorado für Schatten-Liebhaber, die selbst auf hoher See am liebsten spazierengehen und hier ihre Runde mit freier Sicht aufs Meer drehen, sieht man es am besten: Die Wellenbewegung ist so gering, dass das Meer wie eine nahezu glatte Fläche wirkt. Auch dafür hat der Kapitän die passenden Worte: "Wir nennen das Ententeich."
Enten sind auf dem Weg von Ägypten nach Indien naturgemäß nicht zu entdecken - dafür sind immer wieder Delfine zu orten. Also Friede, Freude, freie Fahrt? Von wegen. Auch ein Kapitän, der gerne den Entertainer gibt und sich regelmäßig per Lautsprecher meldet, sollte mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität stehen.
Und so spielt Nico Berg nicht nur den launigen (und ebenso kompetenten) Unterhalter, der wortgewandt über Wind und Wetter informiert, sondern übernimmt auch überzeugend die Rolle des Aufklärers: Dass er nahezu jedes Schiff kommentiert, dass die Aura auf ihrer Transasien-Tour trifft, zeugt nicht nur davon, dass er ein Seemann mit Leib und Seele ist und sich über jede maritime Begegnung freut - es soll auch all jene beruhigen, die den "Besuch" somalischer Piraten befürchten.
Denn bei aller Lockerheit im Umgangston: Die Sicherheit wird an Bord großgeschrieben. Mehr Personal als auf anderen Routen ist diesmal mit an Bord, das erfahren die Gäste direkt am Anfang. Was passionierten Kreuzfahrern sofort ins Auge sticht, sind die "Mitreisenden", die es sonst nicht gibt: Wasserkanonen sind an der Reling angebracht und jederzeit einsatzbereit. Da lohnt sich ein Spaziergang auf Deck sechs noch mehr als sonst - die Abwehr-Waffen ziehen Neugierige magisch an und sind tagelang Gesprächsthema an den verlockend garnierten Buffets, die so gut bestückt sind, dass Piraten davon wohl nur träumen können.
Die meisten Kreuzfahrer sind überzeugte Wiederholungstäter. Und den allermeisten reicht eine "normale" Mittelmeer-Tour längst nicht mehr aus. Es muss schon eine Spur abenteuerlicher sein. Denn eine Trans-Tour ist immer etwas Besonderes, umweht von einer dicken Prise Unabwägbarkeit, getragen allerdings auch von dem guten Gefühl, dass deutsche Disziplin exotischem Neuland begegnet.
So sind die sogenannten Face-Checks und zahlreichen Passkontrollen, die die Behörden in Israel und Indien anordnen, eine Geduldsprobe, die gemeinsam gemeistert wird. Und selbst ein medizinischer Notfall im Oman, der das Schiff kurz nach dem Auslaufen wieder zurücktreibt, um einen Patienten ins Krankenhaus zu bringen, kann die Reisenden nicht nachhaltig vom Kurs abbringen.
Zumal der Wind meist nur mäßig weht und die immer brauner werdenden Weltenbummler genüsslich auf der Sonnenseite des Lebens liegen. Diesmal steht die Reise sprichwörtlich unter einem guten Stern, denn neben Lektorin Yvonne Schmidt, die über die anstehenden Häfen informiert, Land und Leute kennt, verspricht das Unterhaltungsprogramm himmlische Erkenntnisse. Astrologin Bianca Kuhn, die auf hoher See Seminare gibt, ist für jedes Sternzeichen zu haben und entsprechend schnell umzingelt, denn neben Löwen und Widdern sind naturgemäß auch viele Wassermänner und Jungfrauen mit an Bord.
Doch keine Angst: An insgesamt sieben Seetagen bleibt - zwischen Sonnenbad, Sauna und Schnupper-Golf - immer noch genügend Zeit zum Sternzeichen-Studium. Da die Transasien-Tour nicht zu den stark frequentierten Hauptrouten der Schifffahrt gehört und nur wenige vorbeifahrende Frachter für Abwechslung beim Blick auf die Weite des Meeres sorgen, haben die Veranstalter vorgebaut.
Sie schicken eine Mischung aus Gast-Künstlern und eigenem Show-Ensemble ins Bühnen-Rühnen. Comedy, Zauberei, Musical: Von allem gibt es etwas - das gilt auch morgens, mittags und abends am Buffet. So muss man aufpassen, dass man das Wesentliche nicht verpasst: die Häfen nämlich.
In Eilat ist es verhältnismäßig "kühl" (26 Grad). Bis die Passagiere beim finalen Landgang in Cochin bei 35 Grad ins Schwitzen kommen werden, können sie sich langsam akklimatisieren - und nahezu täglich schrittweise die Uhr vorstellen. Dabei ticken die Uhren auf hoher See ohnehin anders: Der Weg ist das Ziel und das Vorankommen äußerst bequem. Ein Land folgt auf das nächste, Koffer packen muss man aber nicht. Das Hotel reist ja schließlich mit. Und: Die Sonnenstrahlen bleiben treu, die Piraten bleiben fern.
So kann die feucht-fröhliche Entdeckungstour zielsicher Fahrt aufnehmen. Dabei gibt es in Sharm E-Sheikh nur den Flughafen zu sehen - noch am Tag des Hinflugs legt das Schiff ab. Festgemacht wird als erstes in Aqaba: Die Zeit in Jordanien sollte für einen Ausflug genutzt werden. Die Felsenstadt Petra lockt mit ihren monumentalen, in die Granitwände gemeißelten Grabtempeln.
Auch die Wüstengegend des Wadi Rum ist einen Abstecher wert - "Lawrence von Arabien" lässt grüßen. Weiter geht's nach Eilat, das nur einen Katzensprung entfernt zu sein scheint: Die südlichste Stadt Israels ist ein idealer Badeort. Wer trotzdem mehr vom Land sehen möchte, kann ans Tote Meer oder nach Jerusalem pilgern. Erst vier Seetage später ist erneut Land in Sicht: Salalah, der Süden des Sultanats Oman, entpuppt sich als Weihrauch-Land, in dem sich Delfine so nah am Strand tummeln, dass menschliche Beobachter ganz verzückt sind.
Zwei weitere Seetage bleiben, bis die Spannung ihren Höhepunkt erreicht: Willkommen in "Bollywood". Indiens Filmzentrum liegt in Mumbai - und die meisten Kreuzfahrer liegen noch im Bett, als die Millionen-Metropole vor dem Schiff auftaucht. Wer aufgeweckt genug ist, nutzt den Tag für eine ausgiebige Rundfahrt durch die Stadt, die bis 1996 Bombay hieß.
An jeder Straßenecke darf gestaunt werden. Kühe stehen mitten in der Innenstadt, der Straßenverkehr ist ein funktionierendes Chaos und Autofahrer kennen nur eine Sprache: die ihrer Hupe. "Incredible India" steht auf einem Plakat am Hafen - unglaublich ist Indien in der Tat. Und der Mix aus Tradition, Religion und Moderne fasziniert auch an anderer Stelle: Goa war einst nicht nur das Ziel vieler Hippies, auch heute noch gibt unüberhörbare Lebensfreude den Ton an. Tanzend begrüßen Einheimische die Passagiere. Sie haben den Kreuzfahrern im wahrsten Sinne des Wortes einen roten Teppich ausgerollt. Durch die Musikeinlage direkt vor dem Schiff sind die Ein-Tages-Gäste von Anfang an in allerbester Stimmung.
"Perle des Ostens" nannten die Portugiesen Goa. 450 Jahre lang hielten sie an ihrer Kolonialherrschaft fest - auch Europas Blumenkinder, die die Traumstrände in den 60er Jahren erobern sollten, wären wohl am liebsten geblieben. Im Jahr 2013 ruft indes schon der nächste Stopp: Cochin erstreckt sich über eine Gruppe von Inseln. Am besten erreicht man den Fischmarkt mit dem Tuk-Tuk-Taxi - oder erkundet die "Backwaters" per Hausboot.
Sofern man nicht schon genug von Schiffsbewegungen hat... Dass jeweils nur wenige Stunden zum Erkunden der Region bleiben, ist denkbar schade, hat in diesem Fall allerdings auch einen klaren Vorteil. Denn selbst wer der hohen Luftfeuchtigkeit nur für kurze Zeit ausgesetzt ist, freut sich umso mehr auf die Rückkehr aufs Schiff - auf Klimaanlage, kühle Getränke und die liebgewonnene Kabine. "Indien light" hatte Lektorin Yvonne Schmidt angekündigt. Wer regelmäßig zu den Seelustigen zählt, weiß ohnehin, dass eine Kreuzfahrt meist aus "Schnupper"-Stippvisiten im Schnelldurchlauf besteht. Warum nicht wiederkommen - ob mit Schiff oder ohne?