Fakten & Fälschungen Bitte blättern Sie weiter, hier gibt es keine Putin-Proteste zu sehen

Neuland. Am Dienstag erzählte Margarita Simonjan bei Twitter einen super Witz: „Meine Verwandten aus Adler (Anm. d. Redaktion: Stadt bei Sotschi im Kaukasus) zu Besuch. Ich: Wie liefen die Kundgebungen bei Euch?

Eine verhaftete Frau schaut in Moskau aus dem Fenster eines Polizeibusses.

Foto: Str

— Welche Kundgebungen? — Die Proteste. — Gegen wen? — Gegen Putin. — Gegen Putin? Diese Bastarde!” Simonjan ist die Chefredakteurin der staatlichen Nachrichten-Agentur Rossija Sewodnja (zu der Sputnik gehört) und von „RT“, dem früheren Russia Today. Obwohl ihr Tweet als Anekdote gedacht sei, um die Bedeutung der Proteste herunterzuspielen, könne er als Bericht an ihre Kreml-Hierarchie gelesen werden, meint die EU-Taskforce gegen Desinformation, und die Botschaft sei klar: „Die wichtigsten Segmente der russischen Wähler wissen sehr wenig über die Proteste und — was vielleicht am wichtigsten ist — sie sind ihnen egal.“ (siehe hier: goo.gl/sTBhq3)

Simonjans Senders — wie alle unter russischem Staatseinfluss stehenden Sender — mühten sich redlich, der russischen Bevölkerung möglichst gar nichts über die Massenprotesten in nahezu 100 russischen Städten gegen die Korruption im Land mitzuteilen. Nach unterschiedlichen Angaben bis zu 60.000 Menschen oder mehr beteiligten sich an den Protesten, zu denen der bekannte Putin-Kritiker Alexej Nawalni aufgerufen hatte. Nawalni und rund 1000 weiteren Demonstranten wurden festgenommen. Offenbar wurde der Kreml, der „seine“ Medien in solchen Fällen dirigiert, sowohl vom Ausmaß der größten Proteste seit Jahren überrascht als auch von der Tatsache, dass sie dezentral über das ganze Land verstreut entstanden.

Ausgelöst hatte Nawalni sie mit einem knapp einstündigen Video (russisch mit englischen Untertiteln bei Youtube: goo.gl/MI03BY), das mit erdrückenden Belegen den Vorwurf erhebt, dass der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew mittels Korruption ein irrsinniges Vermögen angehäuft hat. Das Video ist inzwischen mehr als 15 Millionen Mal angeklickt worden. Es dauerte ein paar Tage, bis Medwedews Chef die Sprache wiederfand (siehe hier: goo.gl/JKMNZk), um erstens die Massenverhaftungen zu rechtfertigen, zweitens dem Westen Einmischung vorzuwerfen, und drittens eine deutliche Drohung auszusprechen. Seine Gegner versuchten, den Unmut über Korruption zu missbrauchen: „Wir wissen nur zu gut, wie dieses Werkzeug am Anfang des sogenannten Arabischen Frühlings eingesetzt wurde, wozu das führte und welches Blutvergießen in der Region sich daraus ergab.“