MEIN SOUNDTRACK FÜR DEN SOMMER Ein musikalischer Roadtrip mit Jake Isaac durch Island
„Long Road“ von Jake Isaac ist eine Pop-Single wie aus dem Lehrbuch. Für eine Fahrt durch die einsamen und endlos weiten Landschaften Islands genau das Richtige.
Krefeld. Ein Schild in den Signalfarben Rot und Gelb kündigt es an. Hier hört der Asphalt auf, die unbefestigte Schotterstraße beginnt. Tag zwei in Island. Die Fahrgeräusche ändern sich schlagartig. Es hört sich an, als würden hundert kleine Steinchen in der Sekunde gegen den Lack gewirbelt. Ein weiteres Straßenschild zeigt an, dass ich den zum Camper umgebauten Transporter jetzt eine achtprozentige Steigung hinaufjagen muss. Der Sommer hat sich da schon längst verabschiedet.
Der Wind peitscht den Regen in unregelmäßigen Intervallen gegen die Windschutzscheibe. Die Wolken hängen tief an den steilen Hängen der Westfjorde im Nordwesten Islands. Das Ziel des Tages ist der Látrabjarg. Das Kap gilt als größter Vogelfelsen der Welt. Dort sollen auch die putzigen Papageientaucher zu sehen sein. Der ursprüngliche Plan, das schlechte Wetter zu umfahren, ist kurzerhand gestrichen worden, als meine Freundin auf diese Information aufmerksam wurde.
Zurück auf der Straße. Die Freundin schlägt gerade die Beine gelassen übereinander und lehnt sie gegen die Seitentür. Mir wird hingegen gerade ganz anders. Es geht steil bergauf. Auf der einen Seite die zerklüfteten Felswände, auf der anderen Seite nur tiefer Abgrund. Ich fluche leise. In einer Haarnadelkurve kommt uns ein Lastwagen mit Reifen, die eher an einen Monster-Truck erinnern, entgegen. Im ersten Gang steuere ich den aufheulenden Mietwagen mit Frontantrieb am Lkw vorbei. Meine Hände sind da schon feucht. Ich drehe das Radio lauter. Das per Bluetooth mit dem Autoradio verbundene Smartphone hatte automatisch in den Zufallsmodus geschaltet. Und wie es der Zufall will, spielt das Gerät „Long Road“ von Jake Isaac.
Der Musiker aus London hatte mich beim Appletree- Garden-Festival (Diepholz in Niedersachsen) 2015 schon überzeugt. Da packte er sich nach seinem Auftritt auf der Bühne kurzerhand seine akustische Gitarre unter den Arm, um inmitten von begeisterten Musikfans mehrere Zugaben zu geben.
„Long Road“ ist eine Pop-Single wie aus dem Lehrbuch. Drei Minuten und 24 Sekunden, von Anfang an kann mitgewippt werden und der Refrain steigert sich bis hin zu mehrstimmigen Ohs und Ahs. Alles nicht neu, aber nicht zu glatt produziert und schön mitreißend. Dazu eine Stimme, die zwischen Gelassenheit und Euphorie hin und her pendelt, ohne sich zu überschlagen.
Und es hat sich gezeigt, dass der Song ziemlich vielseitig einsetzbar ist. Aufgrund der Struktur, bei der sich wie bei vielen Hits laute und leise Passagen abwechseln, passt die Single zu allen möglichen Stimmungslagen und Situationen auf den Straßen oder Buckelpisten Islands. Auf der einen Seite als Durchhalteparole während nervenaufreibender Autofahrten: Neben den genannten Schotterstraßen, an die man sich nach ein paar Stunden gewöhnt, kann es beispielsweise auch zu plötzlichem Starknebel auf Plateaus in tausenden Metern Höhe kommen. Während man dabei das Fahrzeug gefühlt ins Nichts steuert, tasten sich die Nebelscheinwerfer von einem gelben Begrenzungspfahl zu nächsten. Auch extreme Windböen setzen dem verwöhnten Autofahrer vom platten Land zu. Sie scheinen immer kurz davor zu sein, den Camper mit Leichtigkeit von der Straße zu heben, und erfordern die Bereitschaft zu spontanem Gegenlenken.
Auf der anderen Seite als euphorisierender Soundtrack zur überwältigenden Weite des Landes. Gerade bei einsamen Abschnitten, wenn der Blick erst an in der Ferne aufragenden Gebirgsketten hängenbleibt. (Es gibt auch Hotspot-Gebiete, in denen sich die Touristen in Mietwagen- und Reisebus-Karawanen von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten schieben.) Oder wenn plötzlich eine grün bewachsene Sandbank die Brauntöne des Gesteins unterbricht und das Meer einen fast karibisch wirkenden Türkiston annimmt. Wie auf dem Weg zum Vogelfelsen, bei dem sich das letzte Teilstück als waghalsig erscheinende Küstenstraße direkt am Meer entlang erweist.
Während Jake Isaac seinem persönlichen Aufbruch und langen Weg, von dem er sich trotz zweifelnder Stimmen nicht abbringen lässt, besingt, versuche ich die Angst auszublenden, von der schlammiger werdenden Schotterpiste zu rutschen. Am Látrabjarg angelangt, nimmt der Wind noch einmal zu und peitscht den Regen ohne Unterlass auf eine Handvoll an der Steilküste parkender Fahrzeuge.
Die Wellen krachen schäumend gegen das Kap. Innerhalb von Sekunden sind wir trotz Regenkleidung durchnässt. In der kantigen Steilküste sitzen gleich hunderte Papageientaucher, scheinbar unbeeindruckt von den Naturgewalten. Mit der Kamera des Smartphones sind die nur als kleine schwarze Punkte festzuhalten. Kurz vor dem Rückweg, lugt nur ein paar Meter entfernt der bunte Schnabel eines einzelnen Exemplars über die mit Gras bewachsene Kante der Steilküste. Der Papageientaucher watschelt uns sogar ein paar Schritte entgegen. Zurück im trockenen Auto werfe ich den Mediaplayer an. Vor der Weiterfahrt wähle ich bewusst „Long Road“ von Jack Isaac aus.