Blanchieren oder Verlieren — die Großstadtbauern gehen in die Winterpause

WZ-Autor Matthias Rech berichtet vom Mietacker in Niederkassel — zum letzten Mal in diesem Jahr

Foto: Matthias Rech

Düsseldorf. Es ist vorbei. Wir haben unserer kleinen Scholle in Niederkassel abgetrotzt, was ihr abzutrotzen war. Glauben wir zumindest. In den vergangenen Wochen hieß es deshalb bei uns Großstadtbauern: Runter mit den Blanchier-Hosen. Denn wir haben ja nichts zu verschenken. Es zerreißt einem immer das Herz, wenn ein Salat, mit dem man mehrere Schnecken-Vernichtungszüge durchgestanden hat, am Ende in der Gemüsebox im Kühlschrank verwelkt. Solche Momente kamen selten vor zum Glück, doch sie waren stets persönliche Niederlagen. Natürlich konnten wir den Salat nicht blanchieren, aber dafür kamen Karotten, Wurzelpetersilie, Spinat, Grünkohl, Stielmus, Pastinake, Broccoli, Rosenkohl und Bohnen in den heißen Dampf.

Foto: Matthias Rech

Blanchieren, das klingt so edel, heißt aber nichts anderes als garen. Das Wort blanchieren verhält sich wie Rucola zu Rauke oder Chevalier zu Ritter. Es klingt irgendwie toller als es ist. Da hat die deutsche Sprache doch eher einen Treffer gelandet als die ständig ausschmückenden romanischen Wortgebilde. Zugegeben: „Pourceau à la Casseloi avec Pureé de Pommes de Terre à la choucroute“ klingt besser, schmeckt aber genauso wie Kasseler mit Kartoffelpü und Sauerkraut. Aber wir waren ja bei den Rittern. Die waren früher nämlich auch Landbesitzer. Nur ließen sie ihre Felder natürlich von Bauern beackern. Man selbst musste ja Kriege führen und sich beim König beliebt machen.

Immer Mitte November mussten die Bauern dann den Zehnt an ihre Ritter - oder andere Großgrundbesitzer, wie die Kirche - abtreten. Aus Dankbarkeit dafür, dass sie ein ganzes Jahr lang bei Wind und Wetter schuften durften. Bei uns lief das in etwa auch so ab, nur dass wir nicht den Zehnt in Naturalien abgeben mussten, sondern unsere Pacht für den Acker verlängerten. Wir werden also auch 2014 knietief im Matsch stehen, rätseln, ob Unkraut oder nicht, Kartoffelkäfer sammeln und kiloweise Gemüse nach Hause schleppen. Nachdem unser grünes Paradies im letzten Jahr den Namen „JoChristAlPieMa“ trug, die Anfangssilben unserer Vornamen, wird unser Großstadtacker 2014 schlicht „Die Kohlköpfe“ heißen. Der Name ist nicht besonders kreativ, aber von einem Fund inspiriert:

Nachdem die Ackersaison offiziell vorbei war, war ich noch einmal über den Acker gegangen, hatte nach Verwertbarem gesucht. Und neben ganz viel vergammeltem Gemüse, das andere Großstadtbauern zurückgelassen hatten, fand ich einen Weißkohlkopf. Es war der Weißkohlkopf meiner Träume. Er hatte einen Elfenbein-Teint und wog sieben Kilo. Womit wir wieder beim blanchieren wären. Das französische Wort „blanchir“ für garen heißt wörtlich übersetzt nichts anderes als „Weiß machen“. Deswegen habe ich diesen Weißkohl nicht blanchiert. Er war ja schon weiß.

Und da ich neben vielen Dingen in diesem wunderbaren Gemüsejahr gelernt habe, wie man Sauerkraut - pardon: Choucroute - macht, wurde der Kohl-Koloss kurzerhand eingetopft. Eine weitere Erkenntnis, die wir dank unseres Grünzeugs gewonnen haben, ist: Alles in einen Topf, Nudeln oder Reis dazu - schmeckt immer. Wir haben also das Jahrtausende alte Geheimnis der so gesunden asiatischen Küche geknackt. Man nehme frisches Gemüse, kombiniere die verschiedenen Farbtöne ausgewogen, schneide alles klein, haue es mit dem Festesten beginnend in den Wok, bruzzle es, gebe wahlweise Sahne, Kokosmilch, Sojasoße oder Curry-Gewürz dazu, brutzle es weiter, esse es mit Reis oder Nudeln und schmecke. Den Rest des Gemüses - Sie ahnen es - blanchieren und einfrieren.

Unsere Tiefkühltruhe ist voll. Die Einmachgläser auch. Der Winter kann kommen. Wir haben sogar schon Überlegungen angestellt, die Wohnung zu verbarrikadieren und bis zum März nicht mehr rauszugehen. Winterschlaf in der Düsseldorfer Vorratshöhle also. Aber so ganz in einer Höhle? Da blanchiert man doch auch unfreiwillig. Wir wären bestimmt total blass im Frühling. Und das sähe ungesund aus. Es würde uns vielleicht zu Außenseitern machen, zu Verlierern. Und da sind wir wieder beim Kern der Geschichte: Blanchieren ist das neue Verlieren. Da schleppt man XXXL-Tüten voll mit Spinat und Grünkohl nach Hause und nach dem Blanchieren passt alles in sechs kleine Gefrierbeutel. Da wird beim Blanchieren selbst der härteste Großstadtbauer blass.

Wir lassen uns davon aber nicht abhalten. Nach der Winterpause geht’s weiter. Bis dahin, Ihre Kohlköpfe - unblanchiert.

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