Das Ding aus einer anderen Welt
WZ-Autor Matthias Rech berichtet vom Mietacker in Niederkassel
Düsseldorf. Wir hatten geladen. Zum Erntedankfest. 30 Freunde und Kollegen waren gekommen, um sich an unseren Acker-Errungenschaften mal so richtig satt zu essen. Es gab eine Kürbissuppe, Schupfnudeln, Salate, Zwiebelkuchen, Zucchini-Kartoffel-Puffer, Möhrchen zum dippen in Kapuzinerkressensoße, Mangoldblätter mit Hirse und Petersilie gefüllt, zwei Blätterteig-Gemüsetârtes . . . alles aus eigenem Anbau und eigener Herstellung, versteht sich.
Doch der eigentliche Star des Abends — an dem übrigens alles restlos verputzt wurde — war sie. Ihre grünmelierte glatte Haut glänzte im Kerzenlicht und jeder, der sie auf den Arm nehmen durfte, wiegte sie automatisch wie ein kleines Baby. Dabei ist sie ein Koloss. Fünf Kilo schwer. 62 Zentimeter lang. An der dicksten Stelle mit einem Umfang von 48 Zentimetern. Sie ist die Ausgeburt an Gemüseliebe und gärtnerischer Fürsorge.
Sie ist mein kleines Brummerchen. Sie ist eine verdammt große Zucchini — und die letzte der Saison. Wochenlang hatte ich sie weich auf Stroh gebettet am sie nährenden Strunk gelassen und zugesehen, wie sie wächst. Im Internet hatte ich zuvor von Zuchtrekorden gelesen: Über zwei Meter lang, fast 30 Kilogramm schwer, waren da einige Zucchinis geworden. Dagegen ist meine noch winzig. Aber mehr ging ohne künstlichen Dünger eben nicht.
Es reichte auch so für staunende Blicke und etliche „Oh mein Gott, was ist das denn?“ oder „Darf ich sie auch mal halten?“. Sie durften, sie durften alle. Mein Haus, mein Auto, mein Boot, meine Zucchini. Es wäre gelogen, würde ich sagen, ich hätte keinen väterlichen Stolz gefühlt. Doch auch das Erntedankfest ging vorbei. Und da lag sie nun.
Gegessen hatte sie an dem feuchtfröhlichen Abend natürlich niemand. Sie gehörte ja praktisch zu den Gästen. Und am Tag danach war plötzlich kein Platz mehr auf der Küchenanrichte, wo sonst der Toaster gestanden hatte. Da lag jetzt eine Zucchini, die direkt aus dem Atomzeitalter zu kommen schien. Wie ein wundersames Wesen. Zu groß und zu majestätisch für jede Pfanne und jeden Backofen. Ein Ding aus einer anderen Welt. Was zur Hölle sollten wir bloß mit dem grünen Trümmer machen?
Man könnte sie zu einer Suppe machen. Aber ehrlich gesagt können wir keine Zucchini mehr sehen und schmecken. Der Appetit auf die italienische Gurke ist für diese Saison wahrlich gestillt. Man könnte sie aushöhlen. Es gäbe ein paar schicke Wasserski oder ein Einbaum für die Katze. Ich fürchte, wir werden sie noch einige Wochen von einem Platz in der Küche auf den nächsten legen — und wieder zurück. Wir werden sie drehen und wenden und auf Druckstellen prüfen und es ihr bequem machen.
Zucchini kann man fast so lange lagern wie Kartoffeln. Vielleicht hängen wir zu Weihnachten einfach ein paar Glocken und Lametta an das Ungetüm. Dann geht die große Grüne mit ins neue Jahr. Irgendwann gehört sie dann dazu. Zum Inventar, Zur Familie. Vielleicht schreibe ich irgendwann ein Buch mit dem Titel „Mein Leben mit einer Zucchini“. Dann werde ich am Ende noch berühmt. Vielleicht aber auch nicht. Wahrscheinlich gibt es am Wochenende doch eine Suppe. Und die nächsten vier Tage auch. Dem Ding aus einer anderen Welt sei Dank.