Ein Mikrokosmos im Abwasser-Kanal
Ein gewaltiges Netz aus Kanälen liegt unter den Straßen der Stadt. Einige stammen noch aus dem vorvergangenen Jahrhundert.
Düsseldorf. Der grüne Metallpavillon erinnert ein bisschen an eine Gartenlaube, ist jedoch der Eingang zu einer dunklen und modrigen Welt, die tief unter den Straßen schlummert. Es ist der Eingang zum Besucherkanal der Stadtentwässerungsbetriebe, einer mittlerweile stillgelegten Kanalröhre im Düsseldorfer Norden.
Über eine steinerne Wendeltreppe aus roten Backsteinen geht es hinab, der modrige Geruch nimmt mit jeder Stufe ein wenig zu. Nacktschnecken kriechen im Schein der Taschenlampe an den Wänden hoch, eine Spinne hat ihr Netz nur wenige Zentimeter unter der Decke gewebt. Ohne Taschenlampen geht hier unten gar nichts — stockfinster ist es, Lampen gibt es nur an vereinzelten Stellen. Links und rechts geht jeweils eine Röhre ab, schnurgerade führen sie in die Dunkelheit.
Es ist die Mitte des alten Kanales, eine Seite führt zum Rhein, die andere düstere Röhre zum Regenrücklaufbecken. Ein wenig Wasser steht auf dem Boden des Raumes, ein Frosch hüpft darin herum. „Die gibt es hier öfter“, sagt Birgit Bremmenkamp von den Stadtentwässerungsbetrieben. Bremmenkamp entscheidet sich für die rechte Röhre, die zum Auffangbecken führt. Im Entengang geht es vorwärts, mit je einem Bein zu jeder Seite der Wasserpfütze in der Mitte der Röhre. Hier ist es nur Regenwasser, in den Kanälen der Stadt sind es die Fäkalien der Häuser und Wohnungen, die im Kanal aufeinandertreffen.
Eiserne Sprossen führen in der Wand nach oben. Vereinzelte Lichtstrahlen fallen hier herunter, kreisförmig sind sie angeordnet und entstammen den kleinen Öffnungen des Kanaldeckels an der Oberfläche. Sieben Meter unter der Erde befindet sich der alte Kanal. Wenn in den Kanälen Arbeiten stattfinden, steigen die Kanalarbeiter durch die Gullideckel hinab in die Tiefe - ein heikles Unterfangen, sagt Birgit Bremmenkamp: „Man weiß nie, welche Gase sich in der Tiefe gebildet haben.“ Deshalb werde vor jedem Abstieg gemessen. An einem Dreibaum werden die Mitarbeiter dann in den Kanal hinabgelassen. Sind sie unten angekommen, ist die Gefahr jedoch noch lange nicht vorbei: „Im Wasser finden sich alle nur denkbaren Krankheitserreger wieder, schließlich gehen auch kranke Menschen auf die Toilette“, sagt Bremmenkamp. Impfungen seien deshalb bei den 454 Kanalarbeitern an der Tagesordnung.
Weiter geht es auf der Reise durch den Kanal — ein kleiner weißer Knollenpilz hat sich an einem kleinen Vorsprung in der Kanalwand angesiedelt, einsam streckt er seinen Hut gen Kanaldecke. An anderer Stelle wächst eine Baumwurzel durch die Wand, ein kleines Loch hat sie sich freigegraben und ihre Wurzeln in Richtung Wasser gebildet. Kleine Ableger zweigen von ihr ab, bevölkern die gesamten Wände der Röhre. „Hier unten ist ein Mikrokosmos entstanden, über den wir täglich so unachtsam laufen.“
Sie läuft weiter. Vor einem kleinen, unscheinbaren Rohr bleibt sie stehen. Fast verschmilzt es mit der Wand, hat die gleiche rote Farbe wie die Backsteine ringsherum. Es ist eine der Leitungen, die einst die Abwässer der einzelnen Häuser in den großen Kanal leiteten. An anderer Stelle unter Düsseldorf sind diese Röhren noch heute in Takt — im Besucherkanal jedoch haben sich Spinnweben vor dem Loch in der Wand angesiedelt, Scherben liegen in ihm herum. Wenn zu Hause einmal der Abfluss verstopft ist, liegt in diesen kleinen Röhren oft die Ursache begraben: „Wenn Feststoffe in die Toilette gegeben werden, können die das Rohr verstopften“, sagt Bremmenkamp. Dann kann das Abwasser nicht mehr in den Sammelkanal fließen und sammelt sich im Hausanschluss. Weit ist es jetzt nicht mehr bis zum Ende des Kanals, das durch ein großes, schwarzes Eisenwehr gesetzt wird. Plötzlich tritt es aus der Dunkelheit auf, Ketten hängen an ihm herunter, schwere Schieber aus Gusseisen treten aus dem Tor hervor. Hinter ihm verbirgt sich ein großes Regenrückhaltebecken. Das ist noch in Betrieb.
113 Liter Wasser verbraucht jeder Düsseldorfer am Tag — sei es zum Trinken, zum Duschen oder zum Putzen. „Es ist eine gewaltige Herausforderung, das Abwasser wieder zu reinigen und aufzubereiten“, sagt Bremmenkamp. Deshalb sind es auch nicht bloß ein paar vereinzelte Röhren, die unter den Straßen verlaufen. Es ist gewaltiges Netz, das auf eine Länge von 1550 Kilometer kommt. „Das entspricht etwa der Strecke von Düsseldorf nach Rom“, so Bremmenkamp.
“ Montag: Kunst im Tunnel
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