ESC in „Dödeldorf“: Wie schwul ist das denn?
Düsseldorf (dpa) - Der Druckfehler hatte etwas von einem Freud'schen Versprecher. Im Rahmenprogramm der Stadt Düsseldorf zum Eurovision Song Contest (ESC) wurde aus einem „Aktionstag der Schulen“ ein „Aktionstag der Schwulen“.
Der Lapsus hätte wohl nur halb so viel Heiterkeit ausgelöst, wenn nicht tatsächlich viele homosexuelle Männer zu den glühendsten Grand-Prix-Fans gehören würden.
Stefan Raab, der beim ESC zum Moderatorentrio gehört, sprach von einer „Schwulenolympiade“. Dem gelernten Metzger kann man diesmal allerdings keine Respektlosigkeit vorwerfen - auch wenn er mit seinen Haudrauf-Zoten nicht unbedingt für Fingerspitzengefühl bekannt ist.
In Düsseldorf, wo Lena an diesem Samstag mit „Taken By A Stranger“ ihren Titel verteidigen will, spielte sich dieser Tage folgende Szene ab. Dana International, die transsexuelle Sängerin aus Israel, wunderte sich über die Beobachtungsgabe mancher Fans und Journalisten. Einer von ihnen hatte soeben gefragt, weshalb sie nur an der einen Hand die Fingernägel lackiert habe. Sie will es schlicht und einfach vergessen haben - aber darum geht es jetzt nicht. Sie meinte sinngemäß: „Was Euch alles auffällt! Das liegt daran, dass Ihr alle keine heterosexuellen Männer seid!“ Schallendes Gelächter.
ESC-Experte und -Blogger Jan Feddersen gibt zwar zu bedenken, dass die Zahl von weltweit bis zu 120 Millionen Fernsehzuschauern für Finalshow und Halbfinalrunden nicht nur durch Schwule zustande kommen kann. Zugleich behauptet er: „Wer zu einem ESC reist, ob als Tourist, akkreditierter Fan oder als Journalist, ist in der Regel schwul.“
Diese These beruht natürlich mehr auf Beobachtung als auf statistischen Erhebungen. Rund um den ESC kann man sich davon überzeugen, dass vor allem erwachsene Männer ihre Handy-Kameras zücken, wenn zum Beispiel der finnische Kandidat, der 20-jährige Axel Ehnström alias Paradise Oskar, irgendwo mit seiner Gitarre auftritt. Und wenn die irischen Jedward-Zwillinge zur Pressekonferenz laden, ist es genau diesen Männern nicht zu peinlich, sich die steile Jedward-Frisur in Papierform um den Kopf zu binden.
Das Kölner Schwulenmagazin „Rik“ lästert zwar über Düsseldorf als Grand-Prix-Austragungsort („Dödeldorf“, „Provinzmetropole“), kommt aber doch nicht umhin, seitenweise über das Großereignis 40 Kilometer rheinabwärts zu berichten. Das Pendant zur „Rik“, die Düsseldorfer „Exit“, hyperventiliert beinahe: „Die schwule Welt stürmt nach Düsseldorf - und wir sagen euch, wo sich das Ausgehen lohnt.“
Feddersen nennt zwei wesentliche Gründe, weshalb viele Schwule vom ESC fasziniert sind. Zum einen habe der Grand Prix seit jeher eine Alternative zur Mainstream-Musik geliefert, die sich meist um „heterosexuelles Balzen, Buhlen und Besitzen“ drehe. Zum anderen schreibt Feddersen in seinem Buch „Wunder gibt es immer wieder“, dass Männer nun mal wie Männer funktionierten, „nämlich mit ausgeprägtem Sinn für Wettbewerbe und Rangordnungen“.
Folgt man dieser These, sind sich Fußball- und ESC-Fans recht ähnlich. Fußballfans hatten schon etliche Spieltage vor Ende dieser Bundesliga-Saison sämtliche Szenarien hin- und hergerechnet, bis am 30. April endlich feststand, dass Borussia Dortmund als deutscher Meister uneinholbar ist. Ähnlich groß war die Freude im vergangenen Jahr beim ESC in Oslo, als Fernsehkommentator Peter Urban über die acht Punkte aus Mazedonien meinte: „Damit ist es so klar wie Kloßbrühe (?). Lena hat gewonnen.“
Im Fußball gehe es allerdings brachialer zu, meint der Chef des größten ESC-Fanclubs OGAE, Klaus Woryna. Der Song Contest sei bunter: „Es wird jeder akzeptiert in der Fancommunity.“ Angesprochen auf das Thema Schwule und ESC holt Woryna erst einmal tief Luft und sagt: „Ich werde kein Mitglied danach fragen, was er im Bett macht.“ Doch dass der ESC „in schwulen Kreisen ein Top-Ereignis ist“ lasse sich nicht wegdiskutieren. Die OGAE habe europaweit rund 800 Mitglieder - die meisten davon seien „biologisch männlich“, sagt Woryna grinsend.