So sehen Sieger aus: Der Grand Prix 2011
Düsseldorf (dpa) - Es war ein großer Grand-Prix-Abend mit vielen Siegern: Aserbaidschan gewinnt erstmals den Eurovision Song Contest, die ARD holt eine Top-Quote mit einer Super-Show, Anke Engelke ist der TV-Star des Kontinents und Stefan Raab hat wieder mal fast alles richtig gemacht.
Selbst Vorjahressiegerin Lena scheint nach ihrem zehnten Platz zufrieden, sogar ehrlich erleichtert: „Ich fühl mich wie auf Wolke 2000. Von mir fällt ein Riesenstein“, sagte sie nach der dreistündigen Show am Samstagabend in Düsseldorf. Fazit: Mission Titelverteidigung missglückt, aber Deutschland gut vertreten.
13,83 Millionen Zuschauer sahen hierzulande den Überraschungserfolg des aserbaidschanischen Duos Ell und Nikki im Ersten Programm - das war fast jeder zweite Fernsehzuschauer am Samstagabend. Geschätzte 120 Millionen in ganz Europa und 36 000 frenetische Fans in der Düsseldorfer Arena erlebten eine der besten Grand-Prix-Shows in der 55-jährigen Geschichte des Wettbewerbs: Eine fantastische Bühne, ein vor Farbbrillanz sprühender Riesenscreen von 60 mal 18 Metern und viele musikalisch wie optisch gelungene Beiträge aus 25 Ländern - auch nicht unbedingt ESC-typisch.
Rund zwölf Millionen Euro hat das Spektakel die deutschen Gebührenzahler gekostet - nicht gerade wenig, doch das war der erste Grand Prix auf deutschem Boden seit 28 Jahren der ARD wohl wert.
TV-Tausendsassa Stefan Raab hat der ARD (und dem federführenden NDR) den Spaß am Grand Prix zurückgebracht. Nach miserablen Ergebnissen hob er im vergangenen Jahr die Castingshow „Unser Star für Oslo“ aus der Taufe - und löste eine ungekannte Euphorie für diesen oft als Gaga-Wettbewerb verspotteten ESC aus. Seine einsam-sturköpfige Entscheidung zur Mission Titelverteidigung verursachte zwar Stirnrunzeln, doch am Ende: cooler Song, guter Lena-Auftritt, Respekt und Platz zehn - alles gut. Die bombastisch knallige Show trug eindeutig Raabs Handschrift, der hinter den Kulissen ordentlich mitmischte. Sein Auftritt mit einer Rock-Version von Lenas 2010er Siegertitel „Satellite“: ein Kracher. Nur die Moderation hätte er sich wohl sparen sollen.
Die machte dafür umso perfekter Anke Engelke. Die Komikerin brillierte in Englisch und Französisch, versprühte Charme und Witz und empfahl sich für höhere Aufgaben. „Tagesschau“-Sprecherin Judith Rakers überraschte ebenfalls positiv als Gala-Diva in silbrig-glänzenden Outfits.
Ell & Nikki glänzten hingegen ganz in Weiß und im Duett. Ihre schmachtende, einschmeichelnde Pop-Ballade „Running Scared“ ist zwar nicht die Neuerfindung des Pop, erwärmte aber die Herzen der Europäer. 32 der 42 Konkurrenten gaben den Aserbaidschanern Punkte - überwältigend für das Paar, das erst vor drei Monaten als Gesangsduo zusammenkam: „Für uns ist ein Traum wahr geworden“, sagten Eldar Qasimov (21) und seine Duettpartnerin Nigar Jamal (30). Bis vor wenigen Monaten sei sie noch Hausfrau gewesen, meinte die Sängerin und Mutter zweier Töchter. „Das ist alles unglaublich.“ Das kleine vorderasiatische Land mit seinen gut neun Millionen Einwohnern freut sich nun kollektiv auf den ESC 2011. Das Finale soll am 26. Mai 2012 in der Hauptstadt Baku am Kaspischen Meer über die Bühne gehen.
Wen Deutschland ins gut 3000 Kilometer entfernte Baku schickt und vor allem nach welchem Verfahren, ist noch völlig offen: Gibt es eine Castingshow-Neuauflage „Unser Star für Baku“? Bekommt Raab wieder die Rolle als Produzent, Jury-Präsident, Mentor und Übervater? Alles kann, nichts muss, heißt dazu derzeit. Zwar wollen alle Seiten, dass es weitergeht, aber zu welchen Bedingungen? Vielleicht will Raabs Haussender ProSieben ja ein bisschen mehr vom ESC-Kuchen abhaben, vielleicht wollen ARD und NDR etwas mehr bei der Showgestaltung mitreden. Die kommenden Wochen versprechen spannende Verhandlungen.
Auch Italien ist ein Gewinner des diesjährigen ESC. 14 Jahre lang verschmähte man im Land von Pavarotti und Ramazzotti den Song Contest, war sich mit dem Sanremo-Festival selbst genug. Kaum sind die Italiener wieder dabei, erobern sie Platz zwei - mit dem Jazz-Pianisten Raphael Gualazzi und seiner schönen, aber reichlich unitalienischen Nummer „Madness Of Love“. Und die einstige Grand-Prix-Macht Schweden, die allerdings seit 1999 nicht mehr viel gerissen hat, meldete sich ebenfalls zurück: Eric Saade, eine Art Solo-Boyband, holte mit ordentlich Choreographie-Feuerwerk und seinem Ohrwurm-Nervsong „Popular“ Platz drei.
Der ESC in Düsseldorf kennt also nur Gewinner (selbst die häufig belächelte Gastgeberstadt konnte sich in den vergangenen Tagen im Lob aus aller Welt sonnen), oder? Was ist mit der Schweiz? Die bekam gerade mal 19 Pünktchen und landete abgeschlagen auf dem letzten Platz. Der Verlierer 2011? Nein. Der handgemachte Song „In Love For A While“ von Anna Rossinelli ist einfach zu schön für eine Loser-Hymne, außerdem war schon der Finaleinzug ein Riesenerfolg für die kleine Alpenrepublik.