Kirchen in NRW Matthäikirche in Düsseldorf: Architektur stärkt den Willen zur Konzentration
Die evangelische Matthäikirche in Düsseldorf-Düsseltal ist ein Musterexemplar des Bauhaus-Stils. Ein riesiges Stahlskelett hält Kirchenbau und Glockenturm. In jüngster Zeit hat ein Künstler und Architekt nachgebessert, weswegen das Licht neuerdings besonders schön ist. Das hilft beim Ringen mit der Geschichte.
Düsseldorf. Als Peter Andersen vor mehr als 20 Jahren seinen ersten Gottesdienst in der evangelischen Matthäikirche in Düsseltal abhielt, war ihm die Weite des Raums nicht geheuer. Er kam aus einer kleinen zierlichen Kirche und musste sich an die Dimensionen erst gewöhnen. Die Matthäikirche mit Flachbau und grazilem rechteckigen Glockenturm liegt an der vierspurigen Lindemannstraße. Tagsüber braust der Verkehr vorbei, weswegen sie sich für kirchenmusikalische Aufnahmen nicht so sehr eignet, für Konzerte aber schon.
Der rote Backsteinbau mit den Sandstein-Abrundungen wurde 1931 eingeweiht. Die Vorgängerkirche, die alte Matthäikirche an der Achenbachstraße 66, war zu klein geworden für das wachsende Einzugsgebiet. In einer Kirchenchronik heißt es: Dort habe es „wegen Überfüllung immer wieder Ohmachtsanfälle“ gegeben. Erste Pläne, eine große evangelische Kirche zu bauen, gab es schon 1914, jedoch zögerten der Erste Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise die Realisierung des Vorhabens heraus.
Die Düsseldorfer Architekten Karl Wach und Heinrich Rosskotten gewannen den Wettbewerb, nach ihren Entwürfen entstand eine neue Kirche im Bauhausstil. Schlicht und klar in Struktur, Material und Ausstattung. „Das passt zur konfessionellen Ausrichtung der Matthäikirche“, sagt Pfarrer Peter Andersen. Die Protestanten unterscheiden innerhalb ihrer Glaubensrichtung zwischen Lutheranern und Reformierten. „Die Gemeinde der Matthäikirche ist den Reformierten zuzuordnen, die die Kargheit schätzen“, erklärt Andersen. Ein bescheidenes Blumengesteck auf dem Alter, weiße Wände ohne Bilder, keine Figuren, nur die steinernen Köpfe der vier Evangelisten ragen von der Kanzelwand in den Altarraum. Wie Wächter, so kommt es einem vor, schützen sie die achtbare Ruhe in Apsis und Saalbau. „Im Mittelpunkt steht das Wort, nichts soll davon ablenken“, sagt Andersen.
Dem entspricht die Zielgerichtetheit der Bauhaus-Architektur. Ein Stahlskelett hält den Sakralbau. Im Innern stört keine Stütze das Raumgefühl. Boden und Bänke sind aus Holz, im Altarraum hängt ein großes schlankes Holzkreuz. Die Fassade besteht aus roten Backsteinen, die in die Stahlkonstruktion eingesetzt und verfugt wurden.
Während des Zweiten Weltkriegs wird die Matthäikirche zerstört. Jahre später erhält das Architekturbüro Rosskotten, das schon am Bau des Gotteshauses von 1931 beteiligt war, den Auftrag, sie wiederaufzubauen. Die Rekonstruktion wird 1953 abgeschlossen, verläuft jedoch nicht ohne Diskussionen. Die Gläubigen streiten um die kleine Halle, die sich einst im Eingangsbereich der Kirche befand. Sie war mit Steinplatten versehen, welche die Namen im Krieg gefallener Gemeindemitglieder trugen und den Einsatz derjenigen priesen, die im Zweiten Weltkrieg für Deutschland gestorben waren. Mit der kleinen Halle hatten die Architekten in der Ursprungskirche dem deutsch-nationalen Geist ihrer Zeit Raum gewährt. „Eine Kirche ist jedoch ein Ort des Lebens und keine Totengedenkkapelle“, sagt Andersen und offenbar vertraten auch schon 1953 Gemeindemitglieder diese Ansicht. Jedenfalls wurden Gedenkplatten teils weniger prominent, teils gar nicht mehr eingefügt. Stattdessen erhielt der Raum dank ergänzender Wandinschriften eine neue Definition. Eine die den christlichen Werten verpflichtet ist. „Um dem Nachdruck zu verleihen, engagieren wir uns in besonderer Weise für den Frieden“, sagt Andersen.
Ein anderer Streitpunkt ist die Matthäus-Statur am Glockenturm. Arno Breker hat sie erschaffen, der prominenteste Bildhauer des Dritten Reichs. Er war Mitglied der NSDAP und wurde von den Nazis gefeiert. Ende der 1920er Jahre lebte Breker eine Weile in Paris, schloss Freundschaft unter anderem mit Constantin Brancusi und Robert Delaunay. Er arbeitete mit Rodin, der sein Vorbild war. Aus dieser Zeit soll auch der Matthäus stammen, der heute die Kirche schmückt. „Schon in den 1980er Jahren und im Zuge der jüngsten Renovierung ab 2007 wurde darüber diskutiert, ob der Matthäus wegkommt oder nicht“, sagt Andersen. Da er mit der Gestaltung der Kirche verknüpft ist, entschied man sich, die Statur zu behalten, jedoch zur dunklen Biografie ihres Schöpfers klar Stellung zu beziehen.
Ab 2007 wurde noch einmal in die Architektur der Matthäikirche eingegriffen. Ursprünglich sollten Apsis und Saalbau nur gestrichen werden, jedoch stellte man bald fest, dass die Elektrik und mehr reparaturbedürftig war. Mit Sorge blickten Architekten und Gemeinde auf die Stahlkonstruktion aus dem Jahr 1931, das statische Gerüst des Gotteshauses. Es hatte den Bombenkrieg im Gegensatz zum großen Rest der Kirche recht gut überstanden und war beim Wiederaufbau in den 1950er Jahren lediglich geflickt worden. Auch jetzt genügte eine punktuelle Nachbesserung. Für die Fenster allerdings fand man keinen Kompromiss.
Nach dem Krieg hatte man graues Glas gewählt, das den Kirchenraum düster machte. Der Düsseldorfer Glaskünstler und Architekten Thomas Kesseler wählte stattdessen helle Töne, so dass, wenn die Sonne scheint, der Raum in ein warmes Licht getaucht wird, das die Schlichtheit der Architektur aufs Angenehmste betont und den Willen zur Konzentration stärkt. Vom Verkehr auf der Lindemannstraße ist in diesen Momenten nichts mehr zu hören.