Bahnhofsturm: Der Aufstieg zum Herzstück
Serie "Hinter verschlossenen Türen": 164 Stufen führen unter die Kuppel — vorbei an der großen Schmuckuhr. Der Hauptbahnhof ist über 100 Jahre alt.
Krefeld. Die Türe öffnet sich. Aus einem kleinen Vorraum steigt ein beißender Geruch in die Nase, Müll liegt auf dem Boden. Hier beginnt der Aufstieg zum Turm des Krefelder Hauptbahnhofs.
Die Steinstufen sind mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Der Turm empfängt nicht oft Besuch. „Einmal im Jahr sind ein Techniker und ich hier. Sonst gehen wir hier nur rauf, wenn was anfällt“, erklärt Streckenmanager Raphael Dyas, der die Tür zum Turm aufgeschlossen hat.
Nach 24 Stufen öffnet sich eine zweite Tür. Auf dem Boden liegt ein verstaubter Teppich, von den Fußleisten blättert rote Farbe. Vergilbte Plakate werben für Konzerte, für die es längst keine Karten mehr gibt. Die Kölner Band Brings spielt in Krefeld — 1991. Hinter staubigen Fenstern kann man die große Kreuzung vor dem Hauptbahnhof erahnen. „Für etwa vier Jahre war das hier ein Proberaum“, erläutert Raphael Dyas. Jetzt gebe es die Möglichkeit aber nicht mehr. „Die Nutzung wäre mit dem Brandschutzkonzept nicht mehr vereinbar“, sagt der Streckenmanager.
Der Weg führt weiter die Steinstufen hinauf. Der Turm wurde 1907 zusammen mit den Bahnhof errichtet und hat auch den Zweiten Weltkrieg überlebt. Eine besondere Funktion hatte er nie. „Der Turm dient nur der Optik. Das fand man architektonisch einfach schön“, weiß Dyas.
Auf der nächsten Ebene öffnet sich das große Spitzdach, das über das geschlossene Gewölbe der Bahnhofshalle gesetzt wurde. „Von innen ist die Halle ja wie eine Kirche. Das sehen wir jetzt von oben, wir stehen im Zwischenraum“, erklärt Dyas. Auf dem Boden haben frühere Bewohner ihre Spuren hinterlassen. „Vor zehn Jahren wurde hier mal grundgereinigt, aber die Tauben haben immer wieder einen Weg in den Turm gefunden“, erläutert Raphael Dyas. Vor vier Jahren seien dann im Rahmen des Brandschutzes alle Fenster erneuert worden. Seitdem sind alle Tiere ausgezogen.
Hinter einem schmalen Durchgang beginnt der Aufstieg in den 45 Meter hohen Turm. Nach ein paar knarzenden Holztreppen erreicht man eine Tür zum Zwischendach, eine Wartungsöffnung, wie der Fachmann sagt. Mit jedem Schritt wird es kühler.
Einige Stiegen weiter öffnet sich die dritte Tür. Hier tickt das Herzstück des Turmes. Die 2,50 Meter breite Bahnhofsuhr wird mit dicken Leuchtstoffröhren erhellt. Geht die Uhr immer richtig? „Das ist keine Funkuhr, sondern eine Schmuckuhr. Unten im Bahnhof haben wir eine Mutteruhr, nach der sich alle Uhren im Bahnhof richten“, erklärt Raphael Dyas.
Am Treppengeländer hält man sich jetzt besser nicht mehr fest. Eine Mischung aus Staub und Taubenkot hat sich auf die Holzstreben gelegt. In etwa 35 Metern Höhe tritt man hinaus auf die beiden Balkone. Im fernen Nebel kann man Kirchturmspitzen erahnen, der Ostwall verschwindet im Dunst. Unten rauscht eine Straßenbahn vorbei. Hier oben ist davon fast nichts zu hören.
Oben angekommen öffnet sich ein Raum mit großen Fenstern durch die man auf das Bahnhofsdach blickt. Von den Gleisen dringt eine Durchsage herauf. Sie klingt seltsam fern. Von hier führt eine Leiter unter die Kuppel — die ehemalige Hauptresidenz der Tauben.
164 Stufen später steht man wieder vor der unscheinbaren Türe zwischen Süßigkeitenautomat und Fahrplänen. Das Gewölbe wirkt von hier unten viel größer. Und an den Streben erscheinen Ornamente, die man vorher gar nicht wahrgenommen hat.