Chronik der Samt-Dynastie schlummerte in einer Kiste
Hans-Joachim Hüren entdeckte das „Geschlechtsregister“ des Scheibler-Clans in Bockum. Sie geht bis in das Jahr 1412 zurück: Der erste bekannte Scheibler war ein Priester.
Krefeld. Seit fast 40 Jahren öffnet Hans-Joachim Hüren Schranktüren, Schubladen und Kisten, in die schon lange niemand mehr einen Blick geworfen hat. Anfangs durchforstete er den Sperrmüll an Krefelds Straßen, um neben seiner Tätigkeit als Vertreter für Krawatten Verwertbares für die Trödelmärkte am Niederrhein zu finden. 1992, nach dem Abschluss einer Tischlerlehre, macht der Kaufmann sein Hobby zum Beruf: Er arbeitet alte Möbel auf und löst Haushalte auf.
Dabei ist schon so manches Schätzchen in die Hände des heute 58-Jährigen gelangt - eine verrostete Maggi-Dose etwa mit einer kompletten Münzsammlung aus dem Deutschen Reich oder das Gründungsbuch des Krefelder Vereins für Heimatkunde, mit dem Hüren vor anderthalb Jahren den damaligen Vorsitzenden Dr. Reinhard Feinendegen eine große Freude machte.
Jetzt hat der "Holzwurm aus Leidenschaft" wieder etwas entdeckt. In einer Kiste von einem Dachboden in der Nähe des Sprödentalplatzes schlummerte eine unbekannte Zahl von Jahren ein kiloschweres Buch: "Geschichte und Geschlechtsregister der Familie Scheibler", herausgegeben 1895 von Johann Heinrich Carl Scheibler in Köln. Und dazu gleich noch ein Foto-Album mit Familienaufnahmen aus derselben Zeit.
Die Scheiblers gehörten zu den Begründern der Samt- und Seidentradition in Krefeld. Johann Heinrich Scheibler (1777 bis 1837) war zunächst in die Firma seines Schwiegervaters eingetreten und hatte später die Samt- und Bandweberei Scheibler & Cie. gegründet. Mit dem Samt in Krefeld war es am 31. Dezember 1998 endgültig vorbei: Das Unternehmen Scheibler Peltzer GmbH ging mit seinen zuletzt 200 Mitarbeitern in den Girmes-Werken in Grefrath-Oedt auf.
Die Scheiblers waren ein Riesen-Clan, der Mitte des 19. Jahrhunderts Baumwoll- und Flachsspinnereien im heutigen Belgien, Polen, Österreich und Deutschland aufgebaut hatte. Sie steckten ihre Nasen in die Politik, ins Militär und in die Kirchen: Der erste bekannte Scheibler (Heinrich Scheybeler) begegnet uns 1412 als katholischer Priester im heutigen Kassel. Christoph Scheibler hingegen war lutherischer Superintendent in Dortmund und wegen seiner "scharfen Geisteswaffen" bei seinen Gegnern selbst nach seinem Tod (1653) noch verhasst.
Das "Geschlechtsregister" will Hans-Joachim Hüren jetzt einer interessierten Nachfahrin in Bremen vermachen: Charlotte Scheibler. Deren Ausbildung könnte dem deutlich von der Zeit gezeichneten Chronik entgegenkommen: Sie hat das Buchbinder-Handwerk gelernt.
Die Scheiblersche Familienchronik wird wohl der letzte Fund von Hans-Joachim Hüren sein. "Ich gebe den Handel mit alten Möbeln auf, mache keine Haushaltsauflösungen mehr." Der Krefelder, der am Unterschelthof 1 in St. Tönis das Geschäft "Antik am Wasserturm" betreibt, will sich nur noch auf das Aufarbeiten von Möbeln, Polstern von Stühlen oder das Restaurieren von Holzarmaturenbrettern aus englischen Oldtimern konzentrieren. Sekretäre, Eckschränke, Haustüren, Standuhren und die einst so gefragten Weichholz-Kleiderschränke werden derzeit mit Nachlässen von bis zu 50 Prozent abgegeben.
"Gab es 1980 in Krefeld ein leeres Ladenlokal, machte kurz darauf ein Antik-Laden auf", erinnert sich Hüren. Gut zwei Dutzend mögen es zu besten Zeiten gewesen sein. "Der Geschmack hat sich geändert. Heute herrschen leere Räume vor, in denen wenige strenge Designer-Möbel stehen. Schnörkel mögen die Leute nicht mehr."