Die ganze Stadt ist felsenfest in Weiberhand
Der Oberbürgermeister konnte sein Rathaus am Donnerstag nicht lange halten. Pünktlich um 16.11 Uhr wurde es von Möhnen und Trinas gestürmt und in Beschlag genommen.
Krefeld. So ganz können die Herren der Schöpfung den Auftakt zum Straßenkarneval dann doch nicht den Frauen überlassen. Immerhin trauen sich die wenigsten mit Krawatte auf den Rathausplatz — wohl wissend, was ihnen dann blühen würde. Aber die alten Weiber wollen mal nicht so sein, sie lassen die Männer noch ein bisschen mitmischen. Vorerst natürlich, denn den Sturm aufs Rathaus schaffen sie auch allein. „Wenn die Hülser Trinas kommen, geht’s rund“, sagt Marienkäfer-Dame Jacqueline Rose. Ganz klar, wie sie das meint: Dann kann Oberbürgermeister Gregor Kathstede einpacken.
Um 14.30 Uhr ist der Platz schon gut gefüllt. Während Anita Krüger, Präsidentin der Arbeitsgemeinschaft Krefelder Karneval, den Narren auf der etwas niedrig geratenen Bühne einheizt, fließt das Bier in rauen Mengen. Allerdings nur Pils — zum Leidwesen einiger Indianer, Elfen und Clowns. „Keine Ahnung, wieso“, sagt einer der Männer, die am Ausschank alle Hände voll zu tun haben. „Altbier gibt’s heute nur drinnen.“ Aha.
Joachim Jörissen ist mit seiner Mutter Ilse am Rathaus. „Wir sind jedes Jahr hier, und es ist immer toll“, sagt er. Seine Mutter sieht das genauso: „Es ist doch schön, wenn die Frauen das Zepter übernehmen!“ Sie selbst ist eingefleischter Karnevalsfan und Ehrenmitglied der Soundfanfaren Krefeld. Mit ihren 84 Jahren wird sie nicht müde, ihren Verein aus der ersten Reihe anzufeuern.
Brigitte Schommer trägt heute Vollbart und ist damit der lebende Beweis dafür, dass an Karneval nichts normal läuft. Die Präsidentin des Karnevalsvereins KG Grenztal 1980 hat ihre Tanzgarde dabei, an diesem Tag als „blaue Tussis“ zu erkennen. „Ich habe mich als Mann verkleidet, um sie zu beschützen“, sagt Schommer selbstbewusst.
Vorne geht’s derweil hoch her. Wenn auch noch mit Luft nach oben: Als Sabrina von der Linner Burggarde ein Mitmachlied singt, hat sie nur wenige der Krefelder Jecken auf ihrer Seite. Besser wird’s beim nächsten Song: Mit „Ich bin ’ne Räuber“ von De Höhner erweckt sie das Schunkel-Gen auch bei den lässigsten Eckenstehern endgültig aus seinem Dornröschenschlaf.
Dann geht es Schlag auf Schlag: Die Oppumer Prinzengarde tanzt mit fliegenden Beinen zu krachenden Playback-Versionen von „YMCA“ und „I will follow him“; der Kinder-Karneval Stahldorf kommt mit Kindergarde und Teenies. Und dem Krefelder Fanfarencorps bleibt nach dem Aufbau der Technik kaum Zeit für zwei Lieder. Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Die ersten Trinas sind aufgetaucht: Mit Breetlook bewaffnet wirken sie ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Trotzdem ist klar: Der Oberbürgermeister ist angezählt.
Er ist inzwischen auf dem Balkon aufgetaucht und liefert sich einen Schlagabtausch mit Anita Krüger, danach mit Gabriele Leigraf. „Ich habe eine neue Verteidigung“, ruft Kathstede herunter. „Dieser Mafiosi hier ist unser neuer Kämmerer! Hier kommt keiner rein!“ Dann geht’s schnell. Ruckzuck nehmen Möhnen und Trinas die Machtzentrale ein, und Kathstede findet sich unversehens in rosa Handschellen wieder. Wenn sich keiner erbarmt, kann er bis Aschermittwoch über den Haushalt nachdenken. Das ist zumindest der Tipp von Leigraf.