Ein Russe zum Anfassen

Der Autor Wladimir Kaminer begeistert in der Kufa mit unbekannten Geschichten.

Krefeld. So viel Nähe zum Publikum ist eher ungewöhnlich: Während am Sonntag um kurz vor acht eine Traube von Menschen im Biergarten der Kulturfabrik steht und die letzten Sonnenstrahlen genießt, tritt ein kleiner Mann in Jeans, T-Shirt und Strickweste dazu. In der Hand hält er ein Biermix-Getränk - Alt mit Cola - und sein Handy. Er telefoniert und spricht dabei fließend russisch. Und spätestens jetzt dämmert es den Ersten: Das ist der Star des Abends, der erfolgreiche Bestseller-Autor Wladimir Kaminer höchstpersönlich.

Der gebürtige Russe ist niemand, der in fernen literarischen Sphären schwebt. Ganz im Gegenteil: Er ist jemand, der die Leser an seinem Leben teilhaben lässt, der mit ihnen Russendisko-Partys feiert und dabei trotzdem niemals beliebig oder banal wird. Er ist quasi ein Russe zum Anfassen, authentisch und unaufgeregt.

"Meine Bücher sind eigentlich ein Fortsetzungsroman mit Geschichten aus meinem Leben", sagt er in perfektem Deutsch mit breitem Akzent, als er später auf der Bühne steht. "Das hat mein Verlag nur noch nicht verstanden, deswegen bringen sie jedes Buch in einer anderen Farbe heraus."

In Krefeld hat er neben vielen unveröffentlichten Texten und seinem neuen Werk "Meine russischen Nachbarn" zwei Bücher dabei: "Salve Papa!" und "Es gab keinen Sex im Sozialismus". Ersteres handelt vom Schulleben seiner beiden Kinder Nicole und Sebastian, das sie auf einem Gymnasium mit dem Schwerpunkt Latein verbringen. Letzteres ist gespickt mit Wladimirs Kindheitserinnerungen aus der ehemaligen Sowjetunion. "Gerade arbeite ich an einem Buch über meine Schwiegermutter", erzählt er.

Manchmal unterbricht Kaminer die Lektüre, um eine kleine Anekdote zu erzählen oder einen klugen Gedanken mit seinem Publikum zu teilen. Er vertritt unter anderem die These, dass der Ausbruch des Vulkans auf Island mit der Verhaftung des Wettermannes Jörg Kachelmann zusammenhänge. Und er berichtet, wie erschrocken er war, als er das erste Mal nach Sachsen-Anhalt kam. Das Bundesland begrüßt seine Gäste nämlich mit Schildern, auf denen steht: "Willkommen im Land der Frühaufsteher". In Russland werden aber so Bären genannt, die allzu zeitig aus dem Winterschlaf erwachen und dann hungrig die Dörfer unsicher machen.

Überhaupt fällt es einem leicht, über deutsche Marotten zu lachen, wenn Kaminer sie auf seine sympathische Art auf den Punkt bringt. "Schneechaos in Deutschland" heißt eine Geschichte, die sich über den Wahn der Medien lustig macht, mit jeder gefallenen Flocke sofort eine Winterkatastrophe heraufzubeschwören. Russen, die den Winter laut Kaminer übrigens viel mehr hassen ("Meine Frau Olga bezeichnet Schnee als Faschismus der Natur"), gehen mit Glätte und Minustemperaturen hingegen gelassener um.

In "Die Einverständniserklärung" geht es um die Neigung der Deutschen, sich für und gegen jedes nur erdenkliche Ereignis abzusichern, in "Carl-Friedrich" um den klugscheißenden Freund von Kaminers Sohn, ein Kind zweier Anwälte, perfekt organisiert und penibel.

Nach amüsanten, kurzweiligen zwei Stunden geht dem Berliner so langsam die Puste aus und die Stimme flöten. Doch er verspricht wiederzukommen und nahtlos dort anzusetzen, wo er aufgehört hat. "Da gehen wir dann auf jeden Fall auch hin", sagt eine Frau zu ihrem Begleiter. "Ich habe mich nämlich lange nicht mehr so unterhalten gefühlt."