„Für euch ist es Geschichte, für mich war es Schicksal“

Marion Koppel floh 1939 vor den Nationalsozialisten nach England. Nach 75 Jahren besuchte sie wieder ihre alte Schule.

Krefeld. Zum ersten Mal seit 75 Jahren betritt Marion Koppel wieder ihre alte Schule. „Ich kann mich noch gut an alles erinnern“, sagt die 89-Jährige. Marion Koppel ist Jüdin. Im Juli 1939 flüchtete ihre Familie nach England. Am Donnerstagvormittag besuchte die zierliche alte Dame das Ricarda-Huch-Gymnasium.

Im Gepäck hat sie Geschichtsunterricht aus erster Hand. „Für euch ist es Geschichte, für mich war es Schicksal“, sagt Marion Koppel. Atemlos lauschen die 23 Schülerinnen und Schüler der Stufe 10 den Erinnerungen der Zeitzeugin, zu der sie eine ganz besondere Verbindung haben.

Marion Koppels Name steht als einer von 50 Namen auf dem Holocaust-Denkmal im Foyer ihrer Schule. Es erinnert an die jüdischen Mädchen, die während des Nazi-Regimes die Schule verlassen mussten. Auch um sich dieses Denkmal anzuschauen, ist Marion Koppel aus England angereist.

Für einen heiteren Moment in dieser eher ernsten Stunde sorgt Schulleiter Udo Rademacher. Er überrascht Marion Koppel mit ihren alten Zeugnissen aus dem Archiv. „Deutsch war mein bestes Fach, Mathe mochte ich nicht so sehr“, gesteht sie schmunzelnd.

Geduldig beantwortet Marion Koppel die Fragen der Schüler. Bereits im Herbst 1937 nahm sie ihr Vater von der Schule. „Das war der richtige Zeitpunkt. Danach spitzte sich die Situation zu.“

Die Firma ihres Vater importierte Öle und Fette für die Seifenherstellung.

Nach der Reichspogromnacht 1938 wurde Hugo Koppel verhaftet und für vier Wochen in Dachau interniert. „Man ließ ihn frei, um die ‚Arisierung’ seiner Firma abzuwickeln. Er hat nie über die Zeit gesprochen, aber danach war klar, dass wir das Land verlassen müssen.“

Über einen Geschäftsfreund bekam der Vater Arbeit in einer Margarinefabrik in der Industriestadt Slough. Natürlich war es schwer, Deutschland zu verlassen. „Pro Kopf durften wir nur zehn Mark mitnehmen und meine Eltern sprachen kein Englisch“, erzählt Marion Koppel.

Dennoch hatte die damals 15-Jährige Glück im Vergleich mit den „Kindertransporten“ nach England. „Diese Kinder sahen ihre Eltern nie wieder. Ich war wenigstens nicht allein.“

In der Schule waren alle immer nett zu ihr. „Ich durfte sogar ein Gedicht in der Aula vortragen“, berichtet Marion Koppel über ihre Schulzeit als Jüdin. „Aber ich durfte nicht ins Schwimmbad, Theater oder Kino. Und der Vater meiner besten Freundin verbot den Umgang mit mir.“

Bedrückende Stille herrscht, als Marion Koppel von ihrer Großmutter berichtet, die als 84-Jährige erst nach Theresienstadt deportiert und später in Treblinka ermordet wurde.

Wenn Marion Koppel heute ihre Verwandten in Krefeld besucht, fühlt sie sich ganz wie eine britische Touristin. Und wenn sie in einem Café Leute ihres Alters sieht, fragt sie sich oft: „Wie war eure Einstellung damals?“ Der Gedanke, wieder in Deutschland zu leben, ist ihr nie gekommen.