Interview mit Kriminalbiologe Mark Benecke: „Man hat immer die Wahl“
Der bekannte Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke sprach mit der WZ über Sherlock Holmes, die Psyche von Tätern und sein neues Buch.
Krefeld. Über Mark Benecke gibt es viel zu erzählen: Er ist einer der renommiertesten Kriminalbiologen weltweit, Mitglied des Spaß-Nobelpreis-Komitees der Harvard-Universität und Vorsitzender des Vereins Pro Tattoo. Der 41-Jährige untersuchte Hitlers Schädel, arbeitete an den bekanntesten Kriminalfällen mit und landete schon mehrmals mit seinen Büchern auf der Bestsellerliste. Kein Wunder also, dass er mit seinen Vorträgen die Säle füllt — wie die Kulturfabrik am Freitagabend.
Herr Benecke, willkommen in Krefeld! Wie wurden Sie als Landesvorsitzender von Ihren PARTEI-Freunden am Bahnhof empfangen?
Mark Benecke: Luxuriös. Ich wurde mit großem Pomp direkt am Zug abgeholt und sogar von und mit einem Soldaten in Flecktarn fotografiert. Das ist das Erste, was mir hier passiert ist in Krefeld.
Super, da konnten Sie direkt Ihre Solidarität mit den Soldaten in Afghanistan demonstrieren.
Benecke: Ja, genau! Und es war eine sehr angenehme Begegnung. Denn das letzte Mal, als mich Uniformierte am Bahnsteig angesprochen haben, wurde ich sofort festgenommen. Ich sehe ja so komisch aus mit meinen Tattoos und meiner schwarzen Tasche mit all dem Werkzeug.
Wie kommt es eigentlich, dass Sie sich als weltweit bekannter Kriminalbiologe, der nach eigenen Angaben 16 Stunden am Tag arbeitet, politisch engagieren?
Benecke: Man muss einfach mal was tun. So kann es ja nicht weitergehen. Außerdem wollte ich schon immer mal einen Polyester-Anzug tragen.
Und die PARTEI-Uniform hat Ihnen besonders gut gefallen.
Benecke: Genau, Grau in Grau — das fand ich eine gelungene Kombination. Und dazu die schöne rote Krawatte.
Krefeld gilt in NRW ja als PARTEI-Hochburg. Sie waren auch schon häufiger hier zu Gast. Was muss Ihrer Meinung nach in dieser Stadt künftig passieren?
Benecke: Erstens wäre es schön, wenn die Hotelrezeptionen länger als 17 Uhr geöffnet hätten. Das würde einer Metropole würdig sein und mehr Flair hier reinbringen. Städtebaulich habe ich hingegen nichts zu meckern: Ich finde diese Mischung aus gründerzeitlicher und Nachkriegsarchitektur sehr keck. Das ist wunderschön. Alles gut.
Erst kürzlich haben Sie sich auf einer Lesung von Max Goldt mit der Kamera auf die Suche nach einem Nachfolger für den angeschlagenen Bundespräsidenten Christian Wulff gemacht. Wer wäre denn ein geeigneter Kandidat?
Benecke: Wir lassen ja das Volk sprechen und erfüllen die Wünsche der Wählerinnen und Wähler. Und die haben sich komischerweise mehrheitlich für einen Dinosaurier als Bundespräsident entschieden, obwohl noch eine Menge anderer Leute zur Wahl standen. Keine Ahnung, wieso. Wir haben auch gefragt, welchen Sinn das haben soll. Aber da das zu viel verlangt wäre von unseren Wählern, ist das auch egal.
Aber das ist doch utopisch, oder?
Benecke: Ich weiß nicht, ob das utopisch ist. Wie „Jurassic Park“ gezeigt hat, ist es möglich, Teile von alter fossiler DNA in moderne Echsen-DNA zu transferieren.
Aber das funktioniert doch nicht wirklich.
Benecke: Doch, das geht schon. Wir versprechen also, den Wählern einen Dinosaurier als Bundespräsidenten zu schenken. Ich bin ja schließlich nicht umsonst Genetiker.
Hauptberuflich sind Sie aber immer noch Kriminalbiologe. Woher kommt diese Faszination für Täter und ihre Taten?
Benecke: Ich tüftle gerne, suche nach Lösungen wie Sherlock Holmes. Erst heute habe ich mir die originale Sherlock-Holmes-Pfeife gekauft. Ich arbeite nämlich gerade die Gesamtausgabe der Romane durch. Eine große Ausnahme, weil ich sonst nur Sachbücher lese. Dabei habe ich zu meinem Entsetzen festgestellt, dass Holmes und Dr. Watson wirklich haargenau dieselben kriminalistischen Prinzipien anwenden wie ich heute. Mein Beruf ist also erfunden worden von Autoren wie Edgar Allen Poe und Arthur Conan Doyle. Das ist natürlich irgendwie befremdlich.
Gibt es denn keine anderen, echten Aufzeichnungen von Kriminalfällen aus dieser Zeit?
Benecke: Es gibt natürlich Berichte, wie bestimmte Fälle gelöst wurden — auch bereits aus dem 13. Jahrhundert. Aber anders zum Beispiel als bei der Kriegskunst gibt es zum kriminalistischen Denken keine theoretischen Abhandlungen. Jedenfalls keine, die ich kenne. In den Sherlock-Holmes-Romanen taucht das erstmals auf. Und das ist wirklich spooky. Ich schleppe die Gesamtausgabe jetzt schon seit Wochen mit mir und sehe immer nur Parallelen.
Sie sind ja dafür bekannt, dass Sie Ihre Fälle mit immer neuen, selbst entwickelten Methoden bearbeiten und dabei auch eigenwillige, kriminalistisch kreative Wege gehen. Aber vielleicht führt immer nur derselbe Weg zum Ziel?
Benecke: Genau. Sie treffen mich da heute an einem Tag, an dem ich denke: Habe ich früher schon mal etwas über Holmes mitbekommen? Oder sind die Figur und ich uns charakterlich so ähnlich, dass wir genau gleich arbeiten? Denn bei uns ist die Spur, der objektive Befund, wichtiger als die Befindlichkeiten von Gesellschaft oder sozialem Umfeld.
Eine wertfreie, neutrale Betrachtungsweise also.
Benecke: Ja, es ist eine Art neutrale Neugier. Mich interessieren also nicht nur die spektakulären Fälle, nach denen die Journalisten gerne fragen, sondern auch die kleinen, unscheinbaren Rätsel.
Das Krefelder Publikum wird heute erstmals Ihre Frau Lydia kennenlernen, eine forensische Psychologin. Hat sie Ihre Sicht auf die Dinge verändert?
Benecke: Ich verstehe jetzt die Täter besser und warum sie bestimmte Dinge tun. Aber das hat meine Vorgehensweise überhaupt nicht verändert. Denn es ist wichtig bei dem zu bleiben, von dem man etwas versteht. Und ich verstehe nur etwas von Spuren. Aber es ist schon so, dass ich etwas gelernt habe.
Zum Beispiel?
Benecke: Etwa wie gewisse, verrückt anmutende Beziehungsdelikte entstehen. Auch wenn mir das eigentlich egal ist. Aber es ist schon so, dass man bestimmte Merkmale bei Delikten immer wieder findet. Zum Beispiel der Bürgermeister von Ludwigsfelde, der wegen Mordes an seiner Frau festgenommen wurde: Der hat vor der Tat einen Roman geschrieben. Dieser handelt von einem Mann, der von seiner Frau terrorisiert und gestresst wird und der sie schließlich tötet. Das Verrückte daran ist: Er erklärt nachvollziehbar, dass die Frau die Täterin ist, weil sie ihn zu seiner Tat getrieben hat. Dieses Motiv gibt es immer wieder. Solche Dinge verstehe ich jetzt besser und da ist durchaus der Genuss des Aha-Effekts.
Wie ist es eigentlich, so eng mit dem Partner zusammenzuarbeiten? Viele würden das für kein Geld der Welt tun.
Benecke: Also, empfehlen kann ich es nicht. Es ist schon anstrengend, vor allem wenn man wie ich meist alleine arbeitet und feste, gut organisierte Zeitabläufe hat. Aber es ist eine interessante Erfahrung und es lohnt sich, es mal auszuprobieren. Denn im Team findet man nun einmal mehr heraus, kriegt einen umfassenderen Blick auf die Dinge.
Vergangenes Jahr ist Ihr gemeinsames Buch „Aus der Dunkelkammer des Bösen“ erschienen. Darin beleuchten Sie die Taten und die Psyche von bekannten Vergewaltigern, Sadisten, Sexualmördern und anderen Verbrechern wie Josef Fritzl. Warum haben Sie es geschrieben?
Benecke: Erstens gibt es zu solchen Fällen einfach viel mehr Informationen. Das ist schon mal gut. Und an solchen Extrem-Beispielen kann man viel besser sehen, was bei denen eigentlich kaputt ist. Man erkennt zum Beispiel, dass sich die Zielphantasie niemals ändert. Das ist wiederum für unsere Arbeit sehr wichtig.
Inwiefern?
Benecke: So können wir Serien-Delikte viel schneller als solche erkennen. Bei den Opfern von Luis Alfredo Garavito Cubillos, der in Kolumbien mindestens 200 Jungen getötet hat, waren beispielsweise fast immer Schnitte an der Halswirbelsäule zu finden, meist an der Vorderseite. Das kam daher, dass er seinen Opfern den Kopf immer von vorne abgeschnitten hat. Das sind natürlich Details, auf die du erst einmal kommen musst. Denn du kannst nicht bei jeder Leiche jeden Knochen genauestens untersuchen. Aber wenn du weißt, wonach du suchen musst, kommst du schneller ans Ziel.
Was ist die Quintessenz Ihres neuen Buchs?
Benecke: Lydia liefert einen Bausteinkasten, der erklärt, warum Menschen zu Tätern werden. Sie dröselt die Psyche von bekannten Tätern auf und zeigt damit, welche Eigenschaften zusammenkommen müssen, damit jemand zum Beispiel eine Folterkammer baut. Einige Psychopathen bringen Menschen um, andere werden nur Arschloch-Chefs. Was das Fass zum Überlaufen bringt, lernt man bei Lydia.
Warum ist es denn so wichtig, Psychopathen zu verstehen?
Benecke: Das hat zwei Gründe für mich: Erstens kann man den Fall dann schneller lösen. Zweitens ist es dadurch möglich, die Präventionsarbeit zu verbessern — und sogar zielgerichteter Hilfe zu leisten, wenn das Unglück schon passiert ist.
Habt ihr eigentlich einen Lieblingsverbrecher, also einen, der euch besonders fasziniert.
Benecke: Die faszinieren nicht, das sind totale Langweiler. Je länger du mit solchen Leuten arbeitest, desto langweiliger werden sie. Du merkst nämlich, wie sie in ihrer eigenen Scheiße gefangen sind. Besonders diese total antisozialen und psychopathischen Täter sind langweilig. Sie sitzen in einem Bleigefängnis aus Lebenslügen.
Selbst ein Andreas Breivik, einigen Medien zufolge der „Verbrecher des Jahres 2011“?
Benecke: Ja, und der ist zusätzlich noch total schizo. Er ist der größte Totalversager, von dem ich in meinem ganzen Leben gehört habe. Und obendrein noch das größte Arschloch vor dem Herrn. Denn Versager müssen noch nicht unsypathisch sein. Egal, wie kaputt er ist, er hätte das nicht tun brauchen. Er hätte auch Gedichte schreiben können von den eiskalten Tränen, die auf das Grab herabtropfen. Das wäre doch auch okay gewesen.
Da kennen Sie kein Mitleid, oder?
Benecke: Nein, zumal ich mit vielen traumatisierten Kindern und Jugendlichen arbeite, die schlimme Dinge erlebt haben. Und jeder einzelne von ihnen hat mehr Mumm in den Knochen als diese Typen, die alles auf ihre schlimme Kindheit schieben. Denn diese Kinder und Jugendliche versuchen, mit ihrem Leben klarzukommen. Es ist Blödsinn, ständig zu sagen: Das sind die anderen Schuld, die Umstände und der Regen. Denn eine riesige Anzahl von Menschen, die es faustdick abbekommen hat, macht was Gescheites aus ihrem Leben. Man hat immer die Wahl.