Krefeld. Das erste, was sich die 13-jährige Petra Weißkopf 1975 in Krefeld kaufte, war eine „Bravo“: „Die schnitt ich total auseinander, damit ich die Bilder der Stars meinen Freundinnen in der DDR schicken konnte“, erzählt sie. Denn obwohl es verboten war: „Westfernsehen haben alle geguckt.“
An ihre Zeit in der DDR erinnert sich die heute 52-Jährige so: „Die Kindheit in Schleusingen empfand ich als richtig schön. Unsere berufstätigen Mütter gaben uns in der Kinderkrippe, im Kindergarten oder im Schulhort ab. Alle kümmerten sich dort um unser Wohl.“
In der Schule kamen die Schüler oftmals nachmittags zur Schnitzeljagd, zum Altpapiersammeln oder Wandern zusammen. Zu Beginn eines jeden Unterrichtstages trat ein Schüler mit Pioniergruß vor die Klasse und rief: „Stillgestanden! Seid bereit!“ Die Schüler antworteten: „Immer bereit!“ An besonderen Tagen trugen sie eine Pionieruniform mit Halstuch.
Ab dem siebten Schuljahr stand Staatsbürgerkunde auf dem Stundenplan — mit Warnungen vor dem Kapitalismus. „Mit weiteren politischen Sachverhalten wurde ich in meiner Jugendzeit nicht behelligt, deshalb bekam ich vom politischen System der DDR wenig mit.“
Ihr Vater Heinz war ein gebürtiger Krefelder und nach Hochzeit und Familiengründung in der DDR geblieben. „Er war jedoch politisch nicht engagiert und gehörte keiner Gewerkschaft oder Organisation an. Deshalb wurden wir stets von den DDR-Beamten beobachtet.“
Eines Tages durfte die Familie keinen Westbesuch mehr empfangen. Daraufhin stellte Heinz Weißkopf einen Antrag auf Familienzusammenführung. Der erste wurde abgelehnt. 1975 erhielten die Eltern dann die Ausreiseerlaubnis „Ich packte mit meinen dreizehn Jahren Kleidung in einen Wäschekorb und steckte — im jugendlichen Leichtsinn — ein Lieblingsfoto hinein“, berichtet Weißkopf. Es zeigte zwölf bekannte DDR-Sportler in Armeeuniformen. Der Vater entdeckte das Foto und zog es umgehend aus dem Wäschekorb. „Es durfte nicht mit; Sportler in Armeeuniform durften nicht gezeigt werden, vor allem nicht im Westen. Ich steckte es aber heimlich wieder hinein. Unsere Sachen wurden zum Zoll gebracht. Ein paar Tage später musste mein Vater dorthin. Er wurde wegen des Fotos verhört. Er konnte versichern, dass kein politischer Hintergrund dahinter steckte und gerade noch verhindern, dass ich auch verhört wurde. Fast wäre die Ausreise wegen des Fotos gescheitert.“
Als es dann so weit war, fuhr die Familie samt Schäferhündin Cilly vom Bahnhof Leipzig Richtung Grenzübergang Bebra. „Dort holten uns die DDR-Grenzbeamten aus dem Zug. Im Bahnhofsgebäude wurden wir intensiv gefilzt. Sogar die Socken wurden auseinander gerollt. Vater zog sein Jackett aus, hängte es über einen Stuhl und forderte mich auf, meine Jacke darüber zu legen. Die DDR-Beamten fanden nichts.“
Die Familie packte wieder zusammen und konnte einige Stunden später mit dem nächsten Zug nach Kassel fahren. Dort gestand mir mein Vater: „Gut, dass du deine Jacke über den Stuhl gehängt hast. Denn in meiner waren verbotene 100 Westmark. Nicht auszudenken, wenn das entdeckt worden wäre.“ In Kassel wurden sie von Verwandten abgeholt. „Wir zogen dann nach Krefeld.“
Hier musste sich die junge Petra erst einfinden. „In der DDR lief der Unterricht sehr diszipliniert ab. Deshalb wunderte ich mich, als ich meine erste Schulstunde in der achten Klasse in Krefeld absolvierte, dass der Unterricht wie eine Pause wirkte. Jeder redete dazwischen, keiner war konzentriert oder still.“
Einige Jahre später wurde sie zum Klassentreffen nach Schleusingen eingeladen. Die Einreise wurde ihr ohne Begründung verweigert. Erst nach dem Mauerfall vor 25 Jahren konnte Petra Weißkopf wieder teilnehmen.