Probenbesuch bei "Verschollen": Liebe als pure Bewegung

„Verschollen“ verspricht einen spannenden Theaterabend mit Tanz und Gesang. Die WZ durfte vorab bei den Proben zusehen.

Krefeld. Bei den Proben zu "Verschollen" gibt es viele Sprachen, und die meisten kommen ohne Worte aus. Zwischen den Sängern und Tänzern, die aus Italien, der Türkei, Rumänien oder Russland stammen, tummeln sich der amerikanische Choreograph Robert North und der deutsche Regisseur Christian Tombeil, ergreifen Arme und Hände, korrigieren Körperhaltungen, deuten Bewegungen an. Sie werden selbst zum Teil eines konzentrierten und doch spielerischen Tanzes.

Die Sprache dieses Theaterabends, der am 11. Oktober im TaZ Krefeld seine Uraufführung erleben wird, ist körperlich. Robert North hat zwei Werke des tschechischen Komponisten Leos Janácek (1854-1928) in pure Bewegung verwandelt. Er lässt sein Ensemble als Schwalben, Eulen, Ochsen oder Glühwürmer über die Bühne wirbeln. Und - um im Animalischen zu bleiben - auch die Libido hat ihren tänzerisch-verführerischen Auftritt.

Gefangen zwischen den Tieren und Trieben steht Hans-Jürgen Schöpflin, ein ruhender Pol, Tenor inmitten von Tänzern, dessen Körpersprache dennoch eins wird mit den Bewegungen um ihn herum. Die beiden Theaterwelten berühren sich buchstäblich, streichen sich sanft im Vorübergehen und schieben sich kräftig an - genau so, wie Tombeil und North es sich gewünscht haben.

"Die Tänzer werden zu Darstellern, und der Tenor bewegt sich teilweise wie ein Tänzer", erklärt Dramaturgin Silke Meier. "Die beiden Sparten befruchten sich gegenseitig."

Wenn Schöpflin singt und der Pianist André Parfenov live dazu spielt, wird die zweite Sprache von "Verschollen" hörbar: die Musik. Für Tombeil und North stand sie ganz am Anfang: "Bei einem Glas Wein kam uns die Idee, Janácek aufzugreifen." Dessen von osteuropäischer Melancholie durchzogenen Kompositionen könne man sich kaum entziehen, findet Tombeil: "Das sind musikalische Momentaufnahmen von menschlichen Emotionen."

Grundlage des Stücks sind zwei Werke, die eng mit der Lebensgeschichte Janáceks verbunden sind und die laut North "perfekt ineinander greifen". Im Klavierzyklus "Auf verwachsenem Pfade" verarbeitet der Komponist den frühen Tod seiner Tochter Olga - sie starb 1903 an Tuberkulose.

"Tagebuch eines Verschollenen" handelt vom Bauern Jan, der sich in eine Zigeunerin verliebt. "Im Hintergrund steht jedoch Janáceks verbotene Liaison mit einer 37 Jahre jüngeren Studentin", erläutert Tombeil.

Gleichwohl gehe es nicht darum, die Autobiografie des Komponisten auf die Bühne zu bringen, versichert Silke Meier. "Verschollen" handelt von Liebe, Eros und Tod in vielerlei Form, und genau dadurch wird die dritte, die wichtigste Sprache des Stücks deutlich: die Emotion.

Sie wird schon in der Probenarbeit spürbar, in der Leidenschaft, mit der die Macher ihre Tänzer und Sänger antreiben, in der Konzentration, mit der diese die Anweisungen umsetzen. Für den Regisseur bleibt die spannende Frage, "ob die Zuschauer sich darauf einlassen". Die Sprachen des Stücks dürfte wohl jeder verstehen.