Bundestagswahl 2017 Merkel auf Wahlkampf im Osten: Heikle Auftritte im Kampfgebiet
Unterwegs mit Angela Merkel auf Wahlkamptour: Der Kanzlerin schlägt vor allem im Osten viel Wut entgegen — aber nicht nur.
Strasburg. Als Angela Merkel ihre Rede beendet hat und die ersten die Max-Schmeling-Halle schon wieder verlassen, tritt noch einmal Karina Dörk ans Mikrofon. „Ich bin stolz auf euch. Ich danke euch von Herzen“, ruft sie gerührt. „Wir sind ein hervorragender Gastgeber.“ Man kann den Stein, der der CDU-Bürgermeisterin vom Herzen fällt, förmlich aufschlagen hören. Der Osten ist für Merkel Kampfgebiet. Aber zumindest in Strasburg sind die Proteste überschaubar. Sie bestimmen nicht die Szenerie. Karina Dörk atmet durch.
Freilich ist die AfD auch in der 5000-Seelen-Gemeinde inmitten der Uckermark stark. Die NPD ebenfalls, man sieht nur wenige Plakate der anderen Parteien. Merkel wollte eigentlich auf dem Sportplatz sprechen, das Wetter macht ihr einen Strich durch die Rechnung. Außerdem haben Unbekannte wenige Tage vorher mit Unkrautvernichter Anti-Merkel-Parolen auf den heiligen Rasen gesprüht. Der Staatsschutz ermittelt. Die Kicker vom „FC Einheit Strasburg“ sind sauer, und die Freiwillige Feuerwehr, die vor der schmucken Sporthalle den Grill angeworfen hat, findet die Aktion ebenfalls nicht lustig. „Was können die Fußballer dafür?“ fragt einer. „Wenn das ein Strasburger war, wird er seines Lebens nicht mehr froh.“
Dass es einer der ihren gewesen ist, glaubt aber niemand vor der Halle. Eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn reisen einige von denen an, die es auf die Kanzlerin abgesehen haben. Dunkle Sonnenbrillen, muskulöse Oberkörper, man kennt sich, man begrüßt sich. Ein „Merkel muss weg“-Transparent wird ausgerollt. Bei der Union sprechen sie von „immer denselben“, die Merkels Veranstaltungen mit Pöbeleien und Trillerpfeifen zu stören versuchen. „Das sind NPD’ler und Leute von der AfD.“ Sie sind laut und nicht zimperlich. In Torgau vergangene Woche wirkte selbst die CDU-Chefin geschockt von der Wut und der verbalen Gewalt, die ihr entgegenschlug. Hier in Strasburg sind es am Ende (nur) rund 30 rechte Protestler, dazu noch eine kleine Gruppe Linker. Trotzdem: „Wir nehmen den kurzen Weg“, raunt ein BKA-Mann, als die Merkels Limousine ankommt. Sicher ist sicher. Später, bei ihrem Auftritt in Wolgast, wird ihr Auto von einer Tomate getroffen.
Es wird zwar gepfiffen, aber vor allem applaudiert, während die Kanzlerin „den kurzen Weg“ nimmt. Sie schüttelt eine paar Hände, eine Frau flüstert ihr etwas ins Ohr. Merkel antwortet sanft: „Ich verspreche nichts Falsches.“ Die Schalmeien-Kapelle Rossow hat sich bereits am Eingang postiert, „Atemlos“ gehört zu ihrem Repertoire, was irgendwie zum Merkel‘schen Wahlkampf passt. Als die Kanzlerin hinter der Musiktruppe in die Halle einzieht, zeigt sich, dass das Publikum ihr wohlgesonnen ist. Wie bei allen Kundgebungen sind die Merkel-Fans deutlich in der Überzahl, wobei eine Halle ein gefahrloseres Terrain ist als ein Marktplatz. Bei der Union beklagt man, dass es den Störern immer wieder gelänge, „ein verzerrtes Bild“ von den Veranstaltungen zu erzeugen. Aber sie sind nun mal da. Mal viele, mal wenige, jedoch stets laut und keifend. Das kann man nicht ignorieren. Erklären will sich übrigens keiner.
Insider sagen, Merkel habe die Wucht der Anfeindungen in den vergangenen Tagen nicht kaltgelassen. Bei ihrer Rede wird sie einmal kurz von einer Handvoll Gegner mit Trillerpfeifen unterbrochen, die die Halle aber schnell wieder verlassen. Merkel ruft, sie könne manche Wut verstehen. Meistens treffe sie jedoch auf Vertreter der AfD, „die glauben, durch Pfeifen kann man irgendetwas verbessern“. Es wird zustimmend geklatscht. Dann geht die Kanzlerin (ungestört) auf die Probleme in der Uckermark und im ländlichen Raum ein, auf fehlende Arbeitsplätze, auf die schlechte ärztliche Versorgung. „Ich weiß, dass noch vieles nicht in Ordnung ist.“ Außerdem hätte sich mancher wohl „ein bisschen alleingelassen gefühlt, weil so viele Flüchtlinge kamen“, betont sie. „Aber wir haben keine einzige Sozialleistung gekürzt, wir nehmen niemandem etwas weg.“ Merkel weiß genau, was sie hier wie ansprechen muss.
Die meisten der 700 Zuhörer verlassen am Ende zwar nicht euphorisch, aber einigermaßen zufrieden die Max-Schmeling-Halle. „Es war schön, dass sie da war“, sagt ein älterer Herr. Lediglich 30 finden das nicht — sie toben und pfeifen wieder, als Merkel in ihr Fahrzeug steigt, um zum nächsten Termin zu fahren.