Merkel nach Sondierungen: „Und dann spüren wir eine Aufgabe“
CDU, CSU und SPD einigen sich nach 26 stündigem Verhandlungsmarathon auf eine neue GroKo. Jetzt muss Schulz seine Partei überzeugen.
Berlin. Als Martin Schulz redet, kann Angela Merkel ein leichtes Gähnen nicht unterdrücken. Vielleicht liegt das auch an der langatmigen Art, wie der SPD-Vorsitzende das Ergebnis der Sondierungen vorstellt, und nicht nur an der Müdigkeit. Die CDU-Chefin wirkt nämlich ansonsten ganz fröhlich. „Als ich vor über 24 Stunden hier reingegangen bin, war ich noch nicht sicher, dass es gelingt“, sagt sie. Jetzt aber, nach einem zähen Ringen, steht ein 28seitiges Sondierungspapier. Nun kämen die Koalitionsverhandlungen, sagt die amtierende Kanzlerin. „Und dann spüren wir eine Aufgabe.“ Bis Ostern soll die neue Regierung gebildet sein.
Es war ein Sitzungsmarathon, wie ihn die deutsche Politik noch nicht erlebt hat. Rund 30 Journalisten harren die ganze Nacht vor der Tür der SPD-Zentrale aus, im „Willy’s“ genannten Café können sie sich aufwärmen. Bei einigen von ihnen werden derweil die Autos aufgebrochen, trotz der vielen Polizisten, die die Umgebung absichern. Berlin-Kreuzberg eben. Nachrichten dringen nicht nach außen. Man erfährt nur: Es geht hin und her. Große Runde, kleine Runde, Fachgruppen, Parteichefs, Vieraugengespräche. „Große Brocken“ ist das Wort dieser Nacht. Manche Verhandler wie Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen oder CDU-Vize Julia Klöckner gönnen sich zwischendurch einen kleinen Spaziergang, um frische Luft zu schnappen.
Erst gegen acht Uhr morgens ist man fertig. Die Union ist schnell durch mit ihrer internen Schlussberatung, um neun Uhr gehen die ersten ihrer Unterhändler nach Hause. Die SPD braucht etwas länger. Dann, um elf Uhr am Freitag, nach 26 Stunden, treten die Parteichefs vor die Presse. Es ist Tag 110 nach der Bundestagswahl.
Niemals in der Nacht hätten die Verhandlungen auf der Kippe gestanden, sagt Schulz. Aber es habe „turbulente Momente“ gegeben. Merkel nickt. Dem SPD-Chef merkt man die Müdigkeit noch am meisten an. Als er gefragt wird, worin denn der Aufbruch in dem Beschlusspapier liege, redet er kompliziert über Europa.
Angela Merkel spricht vor allem über „mehr Schnelligkeit“, die man dem Land geben wolle, etwa beim Breitbandausbau und bei der Verbesserung der Bildung. „Damit wir auch in zehn Jahren in Deutschland gut leben können.“ Das ist der Slogan aus dem CDU-Wahlkampf. CSU-Chef Horst Seehofer, der am frischesten von allen drei wirkt, schafft hingegen mühelos eine Auflistung sozialpolitischer Errungenschaften, von Rente bis Pflege, von Ganztagsbetreuung bis Weiterbildung. Hinterher beschwert sich eine SPD-Mitarbeiterin, der CSU-Chef habe all die Themen genannt, die man eigentlich selbst als Erfolg hätte feiern wollen.
Man spürt, dass sich die drei Vorsitzenden in den seit Sonntag dauernden Verhandlungen persönlich nähergekommen sind. Als Martin Schulz den Mitarbeitern der Parteizentralen danken will, fällt ihm der Name des CSU-Hauptquartiers nicht ein. „Wie heißt noch mal euer Haus?“, fragt er Seehofer vor versammelter Hauptstadtpresse. Es wird gelacht. Die beiden duzen sich jetzt. Franz-Josef-Strauß-Haus, lautet die Antwort. Später sagt Seehofer: „Ich wünsche euch, lieber Martin, Erfolg auf dem Parteitag.“
Dieser Parteitag am übernächsten Sonntag in Bonn ist die nächste, große Hürde. Er muss entscheiden, ob auf der Basis des Sondierungspapiers förmliche Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden sollen, und der Widerstand in der SPD dagegen ist groß.
Bei der Union sieht man hingegen nur zufriedene Gesichter, alle Gremien geben grünes Licht. Selbst dem ansonsten immer so bärbeißigen CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kommt kein böses Wort über die Lippen. Er säuselt: „Wir haben es uns alle nicht sehr leicht gemacht, aber das gehört dazu.“ Man müsse sich „bei solchen Verhandlungen auch schlichtweg mal ertragen“, betont ausgerechnet Dobrindt, der bei den Jamaika-Sondierungen noch das Prinzip Attacke verfolgt hatte.
CDU-Frau Julia Klöckner spricht davon, dass man etwas „Gutes hinbekommen“ habe. Das hört man oft von Unionspolitikern. „Ich kann jetzt keine Kröte erkennen“, grinst sie. Zwar habe man sich bei der Entlastung der Bürger mehr gewünscht als die vereinbarten zehn Milliarden Euro beim Soli. Aber zum Glück seien Steuererhöhungen verhindert worden, ergänzt Klöckner.
Für die Stimmung in der SPD sind das eher schwierige Äußerungen. Die Tinte auf dem Sondierungspapier ist noch nicht trocken, da verbreiten die Sozialdemokraten schon eine vierseitige „Positivliste“. Sie soll klar machen, dass viele der Bedingungen, die der letzte Parteitag gestellt hatte, erfüllt seien. Nicht alles, was dort aufgelistet wird, hält freilich einer harten Prüfung stand. So wird behauptet, im Ergebnis der Sondierungen gebe es „keine Obergrenze“. Im Sondierungspapier steht aber tatsächlich eine Spanne von 180.000 bis 220.000 Flüchtlingen pro Jahr. Das ist ziemlich genau die CSU-Obergrenze von 200.000.
Schulz lässt seine 13köpfige Verhandlungsdelegation einstimmig eine Empfehlung für Koalitionsverhandlungen aussprechen. Der Parteivorstand folgt dem, allerdings stimmen sechs von über 40 Mitgliedern gegen GroKo-Gespräche. Auch in der SPD-Bundestagsfraktion, die am Nachmittag tagt, melden sich Gegner zu Wort. Der zum linken Flügel zählende Abgeordnete Marco Bülow spricht von einem „beschämenden Ergebnis“. Er ergänzt: „Die große Koalition muss gestoppt werden.“
An diesem Wochenende finden zur Vorbereitung des Bundesparteitages überall Versammlungen in den SPD-Untergliederungen statt. Juso-Chef Kevin Kühnert hat bereits eine Art Deutschland-Tournee angekündigt, um überall gegen die GroKo zu reden. Sein Parteivorsitzender Martin Schulz allerdings auch.