NRW 100 Tage Schwarz-Gelb: Zwei Bilanzen
Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) lobt seine Arbeit. Die Opposition sieht das ganz und gar anders.
Düsseldorf. Als US-Präsident, so hat es Bill Clinton einmal gesagt, müsse man sich ständig mit „incoming fire“, also mit immer neuen und unvorhergesehenen Problemen befassen. Man dürfe darüber aber nicht vergessen, seine eigene politische Agenda durchzusetzen. So war es am Mittwoch wohl auch zu verstehen, als NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) vor der aus seiner Sicht positiven Bilanz der ersten 100 Tage im Amt erst einmal aufzählte, was an Unvorhergesehenem seit der Wahl über die neue schwarz-gelbe Landesregierung hereingebrochen sei. Die Folgen der Diesel-Affäre, die zahlreiche Gespräche mit den Kommunen nach sich zog. Und die Insolvenz von Air Berlin. Und die Krise um Thyssen-Krupp. Schließlich die Bundestagswahl und die dadurch ausgelöste gesellschaftspolitische Debatte.
Was Laschet mit all dem sagen wollte: Genug zu tun, jede Menge „incoming fire“. Und doch habe die Landesregierung in den ersten 100 Tagen schon viel getan, um die selbstgesteckten Ziele zu erreichen. Das zu erwartende Selbstlob von Laschet und seinem Vize- Ministerpräsidenten Joachim Stamp (FDP) wollte die Opposition freilich ganz und gar nicht so stehen lassen.
Mit Blick auf die geplante Ausgliederung der Stahlsparte von Thyssen-Krupp, dem Zusammengehen mit dem indischen Stahl-Konzern Tata und dem dann geplanten Sitz des Unternehmens in den Niederlanden sagt Laschet: Bei dem, was da derzeit auf dem Tisch liege, könne man zumindest unterstellen, dass damit so viele Tausend Arbeitsplätze wie möglich erhalten bleiben. „Nach unserem Wunsch wäre Duisburg der richtige Sitz, und auch die Erhaltung der Montanmitbestimmung wäre das Beste, aber die Entscheidung fällt nicht die Landesregierung.“ Diese könne da nichts tun, das Unternehmen entscheide.
Eine Aussage, die kurz darauf Norbert Römer, den Fraktionschef der SPD im Landtag, auf die Palme bringt. Die Landesregierung schaue der Fusion nicht nur tatenlos zu. Sie unterstütze die Gefährdung des Stahlstandorts NRW, den Abbau von Tausenden Arbeitsplätzen und die Aushöhlung der Mitbestimmung. Laschet kämpfe nicht für die Interessen der Beschäftigten, sondern für die Bilanzen der Manager. Und nicht zuletzt werde auch die Steuerflucht „eines seiner Heimat entrissenen Konzerns in das Steuerdumpingland Niederlande unterstützt“. Römer fordert von Laschet, dieser müsse einen Stahlgipfel einberufen, der sich der Sorgen der Beschäftigten annehme.
Die Grünen-Vorsitzende Mona Neubaur kritisiert beim Blick auf die ersten 100 Tage Schwarz-Gelb: Laschet habe es versäumt, beim Dieselgipfel etwas für den Schutz der Gesundheit der Menschen herauszuholen. Neubaur: „Stattdessen klammert er am Technikdinosaurier Diesel.“ Der Ministerpräsident hält dagegen, es sei unrealistisch, ab einem bestimmten Jahr keine Diesel mehr zuzulassen. „Wir wollen eine Einstiegsmentalität statt einer Ausstiegsmentalität.“ Und er verspricht: Um die Elektromobilität zu fördern, werde in Zukunft alle acht Wochen eine Expertengruppe von Sachverständigen aus dem Bereich der E-Mobilität mit Wirtschafts-, Verkehrs- und Wissenschaftsministerium zusammenkommen. Das Ziel: In NRW sollen neue Automobilwerke entstehen.
Beim Thema Verkehr werfen SPD-Fraktionschef Römer und die Grüne Mona Neubaur Schwarz-Gelb auch vor, ihr Wahlkampfversprechen für weniger Stau längst über Bord geworfen zu haben. Und SPD-Landeschef Michael Groschek sagt, viele Millionen Euro für den Ausbau der A 1 lägen brach. Als Motiv hat er „die ideologische Kumpanei zwischen den beiden Verkehrsministern aus Bund und Land“ ausgemacht. Es solle abgewartet werden, bis öffentlich-private Partnerschaften zu Lasten der Steuerzahler und der regionalen Wirtschaft umgesetzt würden. Deshalb müssten viele weiter im Stau stehen. Dies sei eine Investitionsbremse und damit das Gegenteil der von der Koalition immer beschworenen Entfesselung.
Auf den Begriff der Entfesselung kommt auch Laschet am Mittwoch zu sprechen, als er zusagt, durch die von der Wirtschaft begrüßten Entfesselungsgesetze werde Wettbewerbsfähigkeit hergestellt, indem Bürokratie abgebaut werde. Die SPD hingegen beklagt, dass „die schwarz-gelbe Marktentfesselungspolitik auf eine Entrechtungspolitik hinausläuft.“ Die ersten Betroffenen seien die zehn Millionen Menschen, die in NRW zur Miete wohnen. Der Wegfall der Mietpreisbremse werde dazu führen, dass die Mieten noch schneller steigen als bisher. Die Grünen wiederum beklagen, dass Schwarz-Gelb „die Wachstumsbranche Windenergie ideologisch ausbremst und mit bürokratischen Auflagen Zehntausende Arbeitsplätze gefährdet“.
Die SPD kritisiert, CDU und FDP hätten vor der Wahl versprochen, jede Ausgabensteigerung im Haushalt mit Einsparungen auszugleichen. Heute wisse man, dass es keine Sparkonzepte gebe und Schwarz-Gelb die Neuverschuldung stärker als notwendig erhöhe. Die Schuldenbremse solle erst 2020 eingehalten werden. Und die SPD beklagt den „teuersten Regierungswechsel in der Landesgeschichte“. Im Nachtragshaushalt 2017 hätten sich die Koalitionäre 139 zusätzliche Stellen auf den Leitungsebenen der Ministerien genehmigt.
Beim Thema Innere Sicherheit verspricht Ministerpräsident Laschet, dass unter der neuen Regierung eine Null-Toleranz-mentalität gelte. Rechtsbruch werde nicht mehr toleriert. Messbar werde dies freilich erst in ein, zwei oder drei Jahren sein. Mit Blick auf die vor der Wahl in Aussicht gestellte sogenannte Bosbach-Kommission sagt Laschet auf Nachfrage, diese habe noch nicht getagt. Noch habe Parteifreund Wolfgang Bosbach als einer der Beteiligten dieser „Kommission für mehr Sicherheit in Nordrhein-Westfalen“ ja ein Bundestagsmandat zu erfüllen. Das Gremium solle untersuchen, wie deutschlandweit die unterschiedlichen Sicherheitsstandards seien, wo es Lücken gebe zwischen Bund und Ländern. Das solle über den Tag hinaus geschehen. Die beim Ministerpräsidenten angesiedelten Kommission solle von parteipolitischen Rollen unabhängig tagen.
Diese Perspektive kritisiert SPD-Landeschef Michael Groschek heftig. Er erinnert daran, dass Wolfgang Bosbach im Wahlkampf als derjenige angekündigt worden sei, „der aufräumt, der schonungslos Defizite offenbart und Innere Sicherheit in NRW zur Trutzburg machen“ werde. Und nun stelle sich heraus, dass der Ministerpräsident diese Ankündigung noch nicht mal umzusetzen und die wichtigste Kommission an seiner Seite noch nicht einmal personell zu benennen wisse.
Auch mit Blick auf mögliche Interessenkonflikte der von Laschet in sein Kabinett geholten Minister zieht die Opposition ein kritisches Fazit der ersten 100 Tage. Ein Medienunternehmer als Medienminister, eine Landwirtin als Landwirtschaftsministerin und oberste Fachaufsicht für den eigenen Betrieb, das gehe nicht. Auch nachdem Stephan Holthoff-Pförtner die Kompetenz für den Medienbereich abgegeben habe, bestehe seine Befangenheit als EU-Minister in der Regierung fort. Und die Landwirtschaftsministerin Christina Schulze Föcking werde bei ihren Amtsgeschäften immer wieder auf eigene Betriebsinteressen stoßen. Diese „ungesunde Verschränkung von Amt und Eigeninteressen“ nehme Armin Laschet billigend in Kauf.
Regierungschef Laschet selbst weist darauf hin, dass die vertraulich tagende Minister-Ehrenkommission (ein Gremium, das sich mit der Vereinbarkeit von Ministeramt und anderen Funktionen befasst) ihm „bis zur Stunde nichts berichtet habe, das ihn dazu bringen würde, Korrekturen an der Ministerberufung vorzunehmen“.