Koalition Politologe: „An FDP und Grünen wird ‚Jamaika‘ nicht scheitern“

Politikwissenschaftler Korte sieht Verhältnis zwischen beiden Parteien positiv

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Berlin. An diesem Donnerstag kommen Spitzenvertreter von FDP und Grünen separat zusammen, um Chancen für eine mögliche Koalition mit der Union auszuloten. Dabei waren sich beide Parteien politisch immer spinnefeind. Unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter sprach darüber mit dem Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Uni Duisburg-Essen.

Herr Korte, Grüne und FDP haben gleichermaßen viele gut situierte Anhänger. Und dennoch scheint man sich wechselseitig als Fremdkörper zu betrachten. Woran liegt das?

Karl-Rudolf Korte: Tatsächlich haben Grüne und FDP große Schnittmengen unter den besser ausgebildeten und besser verdienenden bürgerlichen Wählern. Wechselseitig als Fremdkörper betrachtet haben sich immer die Funktionäre der beiden Parteien. Das hängt mit ihrer Sozialisation zusammen. Die einen standen früher mit langen Haaren und Parka in einer Schulhof-Ecke. Die anderen waren mit dem Aktenkoffer unterwegs und haben im Partykeller ihrer Eltern gefeiert. Aber mittlerweile sind diese Unterschiede nur noch ein Mythos.

Das heißt, FDP und Grüne wären in einem Jamaika-Bündnis kompatibel?

Korte: Ja, sehr gut sogar. Beide Parteien sind in ihrem Grundverständnis für eine offene Gesellschaft, europafreundlich und der Humanität verpflichtet. Übrigens auch dem Klimaschutz. Denn die FDP hat sich hier klar zum Pariser Abkommen bekannt. In den Grundlinien beider Parteien gibt es inzwischen mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes.

Wo sehen Sie die größten Probleme?

Korte: Im Hinblick auf Asyl, Zuwanderung und Flüchtlinge gibt es sicher große Unterschiede. Während die FDP hier differenziert, sind die Grünen bereit, deutlich mehr Flüchtlinge und deren Familien aufzunehmen, aber dafür weniger Abschiebungen zu organisieren. Ein weiterer Konfliktpunkt ist auch, wie marktökonomisch Klima und Energie organisiert sein sollen und wieviel staatliche Steuerung es dabei bedarf.

Immerhin scheinen die beiden Parteichefs Lindner und Özdemir gut miteinander zu können…

Korte: Ja, das erleichtert die Verhandlungen zweifellos.

In den Grünen steckt aber nicht nur der Superrealo Özdemir, sondern auch jede Menge Trittin. Ist das kein Hindernis für Jamaika?

Korte: Nein. Jürgen Trittin kann für den linken Flügel aus einer Kultur der Differenz heraus mitverhandeln. Er ist ein Garant der Unterschiedlichkeit zur FDP und damit einer grünen Erkennbarkeit. Das ist wichtig für den grünen Parteitag, der über eine Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheiden soll. Dafür müssen auch Akzente der Trittin-Linie sichtbar sein.

Aber ist denn die Befürchtung des linken Parteiflügels so abwegig, dass die Grünen am Ende doch nur Steigbügelhalter für das traditionelle schwarz-gelbe Bündnis wären?

Korte: Was heißt hier Tradition? Es sind neue Personen, die agieren. Sicher sind die Grünen als prozentual dritte Kraft in der Koalition nicht in der stärksten Verhandlungsposition. Aber sie könnten Ansprechpartner für viele öko-sozialen Themen sein, die man mit den anderen Partnern nicht verbindet. Das wäre auch ein Vorteil.

Wie frei sind FDP und Grüne am Ende wirklich in ihren Entscheidungen für oder gegen ein gemeinsames Regieren?

Korte: Die Grünen hätten nur etwas zu verlieren, wenn sie jetzt nicht in die Regierung kämen. Die meisten ihrer Wähler erwarten auch, dass sie jetzt eher rechts koalieren. Die FDP ist sicher deutlich freier in ihrer Entscheidung, da sie gerade erst wieder frisch ins Parlament gekommen ist. Am Ende wird „Jamaika“ nicht an FDP und Grünen scheitern, sondern im Zweifel an der programmatischen Identitätssuche der Union.