Interview So will Lindner mit seiner FDP "den einzelnen Menschen stark machen"
"Wir schützen vor allem, was klein macht: zu viel Bürokratie, zu hohe Steuern, aber auch übermächtige Konzerne": FDP-Chef Christian Lindner im WZ-Interview über die neue FDP.
Herr Lindner, was ist das Neue an der neuen FDP?
Christian Lindner: Für die FDP hat die Bildungspolitik höchste Priorität, weil wir den einzelnen Menschen stark machen wollen. Wir schützen ihn vor allem, was klein macht: zu viel Bürokratie, zu hohe Steuern, aber auch übermächtige Konzerne. Unverändert setzen wir uns für Menschen ein, die unser Lebensgefühl teilen und selbstbestimmt leben wollen. Mit einem Staat als Partner und nicht als Vormund.
Wie wollen Sie verhindern, dass sich das Szenario der letzten FDP-Regierungsbeteiligung im Bund wiederholt? Erst ein großer Wahlerfolg, dann große Enttäuschung Ihrer Wähler.
Lindner: Bei aller Bereitschaft zur Selbstkritik werde ich mit unserer Regierungsbilanz zwischen 2009 und 2013 mit jeder weiteren Woche der großen Koalition zufriedener. Denn ein drittes Griechenland-Rettungspaket, eine außer Kontrolle geratene Flüchtlingspolitik und eine kurzsichtige Rentenpolitik hätte es mit der FDP nicht gegeben. Wir treten nur dann in eine Regierung ein, wenn wir eine liberale Handschrift zeigen können.
Zum Beispiel durch die Übernahme des Bildungsressorts?
Lindner: Der Verzicht auf das Finanzressort 2009 war sicher ein Fehler. Auch jetzt wollen wir eine Entlastung der Mitte, aber die Prioritäten haben sich geändert. Wir wollen mehr tun für Bildung, Digitalisierung und Bürgerrechte. Die FDP ist jetzt breiter aufgestellt. In Nordrhein-Westfalen haben wir übrigens die Ressorts besetzt, die zu unserer Agenda passen.
Schwarz-Gelb ist vielen noch als Chaos-Truppe in Erinnerung. „Wildsäue“ und „Gurkentruppe“ schimpfte man sich damals. Plagen Sie Albträume, in denen es wieder so kommt?
Lindner: Überhaupt nicht. Nehmen Sie die Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen: Sie fand geräuschlos und auf Augenhöhe statt. CDU und FDP haben eine gute Koalitionsvereinbarung getroffen, die den Staat handlungsfähiger macht und für mehr Sicherheit sorgt, ohne Bürgerrechte zu gefährden.
Könnte, wer die FDP wählt, auch einen Partner von SPD und Grünen bekommen?
Lindner: Er bekommt eine Stimme für die eigenen Grundüberzeugungen. Die FDP ist eine eigenständige Partei. Am wahrscheinlichsten ist, dass es nach der Bundestagswahl wieder eine große Koalition geben wird. Wenngleich die Grünen darauf spekulieren, mit der Union zu regieren. Offenbar wollen die Grünen den restlichen Wahlkampf mit der Konfrontation zwischen Schwarz-Grün und Schwarz-Gelb bestreiten. Wir sprechen lieber über das Land und seine Chancen.
Eine grundlegende Bildungsreform hieße auch, das Kooperationsverbot von Bund und Ländern im Grundgesetz zu kippen. Hier stellt sich die Union jedoch quer. Macht die FDP das zur Bedingung für eine Koalitionsbildung?
Lindner: Die Bedingung ist ein stärkeres Engagement für die Bildung. Die Abschaffung des Kooperationsverbots ist wünschenswert, aber es gäbe dazu auch Alternativen wie beispielsweise einen Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern. Der Bund muss sich jedenfalls finanziell engagieren können.
Käme eine Regierungsbeteiligung für die FDP zu früh? Schließlich war man vier Jahre lang außerparlamentarische Opposition.
Lindner: Wenn es möglich ist, politische Trendwenden zu organisieren, also Entlastungen statt Mehrbelastungen, oder mehr Eigenverantwortung statt mehr gemeinschaftliche Schulden in Europa, dann wollen wir das tun. Die FDP ist eine Gestaltungspartei, alles andere wäre verantwortungslos. Wir sind auch aus der außerparlamentarischen Opposition kommend in der Lage, Verantwortung zu übernehmen. Regierungserfahrung kann auch ein Tarnwort dafür sein, nichts ändern zu wollen.
Die FDP gilt immer noch als Klientelpartei. Können Sie den Vorwurf entkräften?
Lindner: Wer diesem falschen Vorurteil jemals anhing, der hat die FDP auch nicht gewählt. Und wer das heute noch glaubt, der muss eine andere Partei wählen.
Warum hält die FDP dann so stoisch an der privaten Krankenversicherung fest?
Lindner: Weil wir Wahlfreiheit wollen und keine Zwangskasse. Die gesetzliche Krankenversicherung ist ein Element der Solidarität und die private ein Zeichen für private Autonomie. Eine Bürgerversicherung, wie sie zum Beispiel die Grünen wollen, würde zu einer Verschlechterung der Versorgung der gesetzlich Versicherten führen. Das haben jüngste Untersuchungen gezeigt. Demnach zahlen Privatversicherte mehr und subventionieren damit das gesetzliche System, was letztlich auch eine freie Arztwahl ermöglicht.
Was wollen Sie nach der Wahl lieber werden, Minister oder Fraktionschef?
Lindner: Es wäre respektlos, dem Wahlergebnis vorwegzugreifen. Wir sind noch nicht im Bundestag, erst recht nicht in Koalitionsverhandlungen. Wir konzentrieren uns auf das Rennen um Platz drei. Das ist die spannende Frage.