Der "Schluff": Die Langsamkeit des Reisens

Eine Fahrt mit dem „Schluff“ führt von St. Tönis bis zum Hülser Berg in gemütlichen alten Waggons.

Foto: Andreas Bischof

Krefeld. Eine dichte, weiße Dampfwolke steigt aus dem Schornstein der Graf Bismarck empor. Der historische Zug nimmt Fahrt auf, schlängelt sich langsam durch die Hülser Landschaft. Kinder stehen an der Strecke und winken den Fahrgästen des Schluffs zu, der im Sommer jeden Sonntag sowie zu bestimmten Terminen auch mittwochs dreimal täglich von St. Tönis bis zum Hülser Berg in Krefeld und wieder zurück fährt.

Dann sind für kurze Zeit die Bahnschranken geschlossen, der Auto- und Fußgängerverkehr rund um die Bahnstrecke steht still. Und für die Fahrgäste fühlt es sich an, als ob sie nicht in einen Zug, sondern eine Zeitmaschine gestiegen wären.

Der Zug, der seit 34 Jahren regelmäßig durch Krefeld rollt, ist mittlerweile 67 Jahre alt. Die Waggons sind urig, gemütlich eingerichtet. Doch dafür haben die wenigsten Fahrgäste einen Blick übrig: Sie schauen lieber aus den Fenstern, genießen die Landschaft, durch die der Zug mit höchstens 30 Stundenkilometern rollt, auch wenn er bis zu 50 Stundenkilometer schnell fahren kann.

Doch die Langsamkeit des Reisens, das Eintauchen in eine vergangene Zeit, das ist es, was auch Touristen regelmäßig nach Krefeld lockt. „Wir kommen mindestens einmal im Sommer von Düsseldorf nach Krefeld, um mit dem Zug zu fahren. Unsere Kinder freuen sich schon Wochen vorher auf den Ausflug“, sagt Tina Hanke.

Kurz bevor der Schluff in den nächsten Bahnhof einfährt, gibt er einen schrillen Pfeifton ab. Das Signal schreckt die Wartenden auf, hektisches Treiben setzt auf dem Bahnsteig ein. Dabei ist der Zug noch gar nicht zu sehen.

Als er schließlich um die Ecke schlufft, stehen die Fahrgäste parat. Die meisten von ihnen haben eine Wanderung unternommen. Aber auch einige erschöpfte Radfahrer warten darauf, endlich in den Zug einsteigen zu können, der sie zurück in die Innenstadt oder gar nach St. Tönis transportieren soll.

Auf dem Bahnsteig sieht es aus, wie in einem historischen Film: Die Lok, Graf Bismarck, ist in weißen Dampf gehüllt. Die rot-weißen Waggons glänzen in der Nachmittagssonne. Passagiere laufen durch den Zug, suchen nach freien Plätzen, schieben die Fenster der Abteile nach unten und strecken die Köpfe hinaus. Die Radfahrer verladen ihre Zweiräder in einen gesonderten Waggon. Schließlich verriegeln die Türen, und die Lokomotive zieht an. Zischend stößt sie immer wieder den Dampf aus und wird erst ganz gemächlich etwas schneller.

Für viele ist der Schluff das schönste, nutzbare öffentliche Verkehrsmittel am ganzen Niederrhein. Obwohl die Graf Bismarck, genau genommen, gar keine niederrheinische Lokomotive ist. 33 Jahre lang wurde die Lok in Gelsenkirchen im Bergbau eingesetzt, damals noch traditionell mit Kohle befeuert.

Heute muss auf der Lok niemand mehr Briketts schippen: Der Schluff wurde vor seinem ersten Einsatz in Krefeld auf Öl umgerüstet. Nicht, weil es zu anstrengend ist, ihn mit Kohle zu befeuern, sondern weil es schlichtweg zu gefährlich ist. Der Schluff fährt auf seinem Weg auch durch den Wald. Und bei Lokomotiven, die mit Kohle betrieben werden, fliegen im Verbrennungsqualm oft noch Funken mit herum.

Gemächlich geht es von Hüls aus in Richtung Krefelder Innenstadt. Immer wieder stößt die Lok einen warnenden Pfiff aus — und wird automatisch an den unbeschrankten Bahnübergängen etwas langsamer. Es geht durch endlos erscheinende Gartenanlagen in Inrath, die ab und zu in weißen Dampf gehüllt werden.

Gerade mal 14 Minuten dauert die Fahrt bis zum Nordbahnhof. Damit der Zug dort ohne Unfälle ankommt, sind in der Fahrerkabine gleich zwei Menschen zu finden: neben dem Lokführer auch noch der Beimann, der mit ihm im Team zusammenarbeitet. Da der Lokführer in der Fahrerkabine eine äußerst ungünstige Sicht durch die beiden winzigen Fenster hat, hält der Beimann für ihn die Augen offen.

Das ist besonders wichtig, weil nicht immer alle am Bahnübergang mitbekommen, dass sich der Schluff nähert. So erzählt der Zugchef immer wieder die Geschichte eines Gehörlosen, der das laute Pfeifen der Lok nicht mitbekommen hat, und die Graf Bismarck gerade noch stoppen konnte.

Die Fahrt verläuft ohne besondere Vorkommnisse, und wenige Minuten später sind die Fahrgäste wohlbehalten am Nordbahnhof angekommen. Die Radfahrer entladen ihre Fahrräder und schwingen sich in den Sattel. Auch dem Schluff wird keine Pause gegönnt. Er hat noch eine weitere Etappe bis nach St. Tönis vor sich.