Die Karatekämpferin in mir kommt mit nach Deutschland

Zeit ist auf dieser Reise sehr relativ für mich geworden Manchmal habe ich zwei Dimensionen von Zeit an einem Tag erlebt - wenn sie erst geschlichen ist, während ich die Jungrinder auf der australischen Cattle Station zum grasen hinaustreiben und vier Stunden lang beobachten musste, und dann gerast, wenn aus einer Herde immer wieder Bullen ausgerissen sind und ich sie durch das Unterholz verfolgen musste.

Die Düsseldorfer WZ-Redakteurin Juliane Kinast beim Karate-Training in Okinawa.

Foto: Juliane Kinast

So ähnlich war es auch in Okinawa. Manchmal konnte ich nicht fassen, wie lange ein Nachmittag zwischen zwei Übungen sich hinzog, wie viele Tage lang ich noch üben, üben, üben sollte. Und plötzlich ist ein Monat vergangen - und sieht im Rückspiegel ganz klein aus.

Ich muss zugeben, dass ich ein bisschen erleichtert bin. Die Regenzeit ist in vollem Gange, aber in den vergangenen fünf Tagen hat es kaum einen Tropfen mehr geregnet. Dafür hat sich die Feuchtigkeit in der Luft aufgestaut, heißer und heißer ist es geworden. Mitunter bin ich schon komplett durchgeschwitzt gewesen, wenn ich nur vom Hostel bis zu Kaorus kleinem Dojo gelaufen war. Während des Trainings haben die Schweißtropfen aus meinem klatschnassen Karate-Gi einen See um mich gebildet, wenn ich länger an einem Fleck stehen geblieben bin.

Wenn ich mit der Übung der Kata und Techniken durch war, aber noch eine halbe Stunde Liegestütze, Sit-ups und dergleichen absolvieren wollte, musste ich in Sportkleidung wechseln - und auch die konnte ich danach auswringen. Nach dreieinhalb bis vier Stunden Übung habe ich zwei Liter Wasser heruntergekippt wie ein Viech am Wasserloch nach einer Wüstendurchquerung säuft. Im kleinen Supermakt um die Ecke vom Dojo kennt man mich schon, weil ich mir immer nach der Übung einen bunten asiatischen Energydrink dort hole - etwas, dass ich vorher niemals zu mir genommen habe, aber ich fühle mich jedesmal so ausgelaugt, dass ich fast alles tun würde, um meinen Körper wieder ein bisschen aufzuputschen.

Es aber eine erfolgreiche Zeit. Ich habe alle traditionellen Kata gelernt, neue Abwehrtechniken und wie ich danach einen starken Gegner endgültig ausschalte. Egal, wie hart ich gegen die mit Stroh umwickelten Latten im Dojo schlage, die Haut an meinen Fäusten hält, meine Unterarme werden überhaupt nicht mehr blau. Ich fühle mich stark und fit.

Vor allem aber hat der Monat mich den Wurzeln unserer Kampfkunst so viel näher gebracht. Mir ist eindrucksvoll bewusst geworden, was für ein alter, ehrwürdiger Weg das ist, auf dem die Karateka gehen. Und dass ich ihn weitergehen will. Weiter auf ihm wachsen will. Während ich das Cowgirl in mir leider mit meiner Abreise aus dem australischen Busch in Rente schicken musste, kann die Karatkämpferin in mir zum Glück mitkommen nach Deutschland.

Aber dafür ist die Zeit noch nicht gekommen. Denn erst einmal habe ich mal wieder kurzentschlossen und ohne großes Weiterspinnen ein Ticket gekauft: In ein paar Tagen geht es nach Vietnam.