Kanada 2015 US-Girls wollen Neid-Elf mit Power-Fußball begegnen
Die USA haben bei dieser Frauen-WM bislang gewiss nicht überzeugt, aber die erfahrene Mannschaft geht auf ihre eigene Art der Mission nach / Halbfinale gegen Deutschland wird zum Prüfstein
Montréal. Auf einmal schienen selbst die zwei grimmigen Wachleute mit den um die Hüfte geschnallten Revolvern machtlos. Zu groß das Tohuwabohu im Eingangsbereich des Centre Sheraton, dem feudalen Hotel mitten in der City von Montreal. Hektik kam auf, weil Sportlerinnen in kurzen Hosen, Betreuer mit mächtigem Gepäck und Fans mit aufnahmebereiten Smartphones gleichzeitig in den schmalen Bereich mit dem Schild „Elevator Floors 2 -37“ drängten. Einige Minuten ging das so, dann waren Alex Morgan, Megan Rapinoe und die anderen Spielerinnen auch schon in den Fahrstühlen verschwunden.
Alltag beim Team USA. Wo diese Truppe auftaucht, herrscht bei dieser Frauen-WM stets der größte Rummel. Dumm nur, dass das alles kurz vor dem Halbfinale gegen Deutschland in der Herberge stattfand, in der seit einer Woche die DFB-Delegation residiert. Als „extrem störend“ empfindet Silvia Neid diesen von der Fifa herbeigeführten Zustand, der doch überhaupt nicht zu den Professionalisierungsbestrebungen im weiblichen Segment passe. Und die Bundestrainerin erzählte von einer ähnlichen Begegnung mit dem US-Tross in Winnipeg, als sich fast niemand mehr durch die Lobby bewegen konnte, weil Hope Solo und Co. so viel Auflauf verursachte.
Beim zweifachen Weltmeister und vierfachen Olympiasieger - zuletzt wieder 2012 in London - sind sie das gar nicht anders gewohnt. Und irgendwie ist es auch gar nicht anders gewollt. Denn das große Gewese muss ja gar nicht vom professionellen Tun abhalten. Die US-Girls jedenfalls haben zum Training in der gerade von einer Schlechtwetterperiode heimgesuchten frankophonen Metropole den Stade de Soccer-Komplex an der Avenue Papineau aufgesucht, der mehr Baustelle als Trainingsgelände zu sein scheint, aber statt wie die Deutschen draußen haben die USA drinnen trainiert. Die Halle mit dem Fußball-Großfeld ist nämlich fertig. Und was kann die Bedingungen für den ultimativen Showdown besser simulieren, der bekanntlich im seit den 1990er Jahren provisorisch überdachten Olympiastadion von Montreal stattfindet.
Ally Krieger, eine Strahlefrau wie aus einem Hollywood-Film, die sich in ihrer Zeit beim 1. FFC Frankfurt ein perfektes Deutsch angeeignet hat, kann es jedenfalls kaum erwarten. „Die Deutschen spielen einen wunderbaren Fußball. Ich bin so froh, gegen sie spielen zu dürfen“, flötete die 30-jährige Verteidigerin nach der Übungsstunde gegenüber den deutschen Reportern. „Als Leistungssportlerin will ich immer gegen die Besten der Welt spielen, das ist doch der große Spaß. Deutschland ist derzeit die Nummer eins der Weltrangliste. Da wollen wir wieder hin und Weltmeister werden. Das wird ein großartiges Spiel.“ Es ist der typische Sprech, der in allen erdenklichen Varianten erklingt. Seit Tagen, seit Wochen. Selbst Nationaltrainerin Jill Ellis, eine uneitle Persönlichkeit mit einem schmissigen Kurzhaarschnitt, gibt gerne solche Phrasen von sich. „Wir sind bereit, den nächsten Schritt zu gehen“, versicherte die 48-Jährige, die ihrer Mannschaft diese eigene Mischung aus Optimismus, Pragmatismus und Patriotismus gar nicht abgewöhnen will.
Und auch am Spielstil hat sie unter ihrer Regie nicht viel geändert. Mächtig Power bleibt die oberste Prämisse. Und der Esprit bisweilen auf der Strecke. Die Pflicht in der Gruppenphase — 3:1 gegen Australien, 1:0 gegen Nigeria, 0:0 gegen Schweden — erfüllte der Favorit letztlich souverän, in der K.o.-Runde — 2:0 gegen Kolumbien, 1:0 gegen China — wackelte er niemals wirklich. Es reichen meist ein, zwei besondere Momente.
„Einer der wichtigsten Erlebnisse in meinem Leben“ beschrieb beispielsweise am Freitag in Ottawa die Siegtorschützin Carli Lloyd ihr Kopfballtor im 200. Länderspiel. Die 32-jährige Mittelfeldspielerin gehört zu dieser älteren Generation, die von der bereits 35-jährigen Abby Wambach angeführt wird, obwohl die Kapitän wegen klar erkennbaren Fitnessdefiziten gar nicht mehr jedes Spiel von Anfang an bestreiten kann. „Wenn sie aber reinkommt, geht ein Ruck durch das Team“, hat Silvia Neid erkannt.
Die robuste Stürmerin steht als Kapitän einem Ensemble vor, das nach dem dritten WM-Titel trachtet. Die 243-Nationalspielerin mit ihren sagenhaften 183 Toren war dabei, als am 17. Juli 2011 in Frankfurt im WM-Finale gegen Japan im Elfmeterschießen der Traum zerplatzte. Und sie stand auch am 6. Oktober 2003 im Providence Park von Portland auf dem Platz, als ein WM-Halbfinale gegen Deutschland mit 0:3 verloren ging. Seitdem hat sich die USA übrigens in elf Vergleichen nie wieder von diesem Gegner etwas streitig machen lassen. Den Lobbybereich im Hotel sowieso nicht.