Kanada 2015 Der letzte Schritt
Montreal. Hinterher nach dem bewegenden Halbfinale dieser Frauen-WM zwischen den Großmächten aus Amerika und Europa ist es sehr hilfreich gewesen, einmal Ali Krieger zuzuhören. Niemand aus dem Team USA spricht besser Deutsch, als die fünf Jahre in Frankfurt spielende Verteidigerin.
Niemand kennt besser die Stärken und Schwächen der deutschen Frauen-Nationalmannschaft als die 30-jährige Sympathieträgerin. Und neben all den Lobeshymnen auf den tapferen Verlierer rutschte ihr dieser wichtige Satz heraus: Ihr Team habe das deutsche System gespielt.
Was viele der immer etwas blass wirkenden Britin Jill Ellis gar nicht zugetraut hätten, wagte die US-Trainerin: Sie modifizierte Personal und Taktik, um auf den Gegner zu reagieren. Ungeachtet aller anderen offensichtlichen Mentalitätsunterschiede hat dieser Mut in der Nacht zu Mittwoch den Unterschied gemacht. Mit den US-Girls gewann nicht nur die effizientere, sondern auch die intelligentere Mannschaft. Ziemlich offensichtlich ist, dass dem Europameister, obwohl er sich im Hinblick gegenüber 2011 weiterentwickelt hat, in Kanada etwas fehlte.
Nämlich der Plan B, um im Notfall auf neue Gegebenheiten zu reagieren. Abermals verharrte Silvia Neid in alten Verhaltensmustern. Nur eine, viel zu späte Einwechslung, nur ein allenfalls in Nuancen verändertes Schema. Das 4-2-3-1-System, welches jetzt der vor Selbstsicherheit strotzende Widerpart mal eben kopierte. Mit einer in die offensive Zentrale versetzen Alleskönnerin wie Carli Lloyd, die in ihrem 201. Länderspiel prompt zur Matchwinnerin wurde.
Es ist nicht anzunehmen, dass die Bundestrainerin daraus direkte Lehren zieht. Der olympische Lockruf, der von den Spielen 2016 in Rio de Janeiro ausgeht, ist nicht so groß wie vielerorts vermutet wird. Das Turnier ist ja schön und gut, und gerade die USA — viermal Olympiasieger — werden in Brasilien mal wieder alles daran setzen, eine goldene Mission zu vollbringen.
Für Silvia Neid geht es im nächsten Jahr um etwas anderes: Neben den Pflichtaufgaben einer eher lästigen EM-Qualifikation wird sie mutmaßlich im Hintergrund ihre Nachfolgerin Steffi Jones einarbeiten. Die DFB-Direktorin hat sich bei dieser WM, angeblich um die DFB-Auswahl nicht abzulenken, gar nicht blicken lassen.
Aber dieser Entschluss war gewiss kein gutes Zeichen. Um die aktuellen Trends im Frauenfußball zu erspähen, hätte es der Anwesenheit in den Stadien bedurft. Ob Steffi Jones, die noch gar keine Trainererfahrung besitzt, die noch nicht einmal für eine Juniorinnen-Auswahl oder ein Vereinsteam die Verantwortung übernommen hat, wirklich die richtige ist, um hinter der allseits respektierten Silvia Neid ein talentiertes, aber noch nicht vollends austariertes deutsches Ensemble für die WM 2019 in Frankreich auf die letzte technisch-taktische Entwicklungsstufe zu führen, wird eine spannende Frage. Zweifel sind angebracht.