Fußball Lennart Thy und das Match seines Lebens

Düsseldorf · Der Fußballer Lennart Thy spendete in diesem Jahr Knochenmark, um ein Leben zu retten. Die ganze Geschichte hat auch ein Stück seines Lebens verändert. Jetzt spielt der U 17-Europameister von 2009 in der Türkei. Und ist mit sich im Reinen.

Lennart Thy noch im Trikot von VVV Venlo, gerade hatte er genau vor einem Jahr drei Tore beim 3:1 gegen Almelo geschossen. Inzwischen spielt der Fußballer, der aus dem ostfriesischen Norden kommt, in der ersten türkischen Liga.

Foto: WITTERS/JeroenPutmans

Am 23. Dezember hat Lennart Thy noch für Erzurumspor gestürmt, am letzten Spieltag der Süperlig vor dem Heiligen Abend, der in der Türkei keiner ist. Und dann hat Thy sich aufgemacht gen Norden, genauer gesagt nach Norden, in seine Heimatstadt in Ostfriesland. „Ich habe es pünktlich unter den Tannenbaum zu meiner Familie geschafft“, sagt er, 26 Jahre alt, Stürmer, bullige Spielweise, er galt einmal als eines der besten deutschen Stürmertalente. Und versucht jetzt sein Glück in der Türkei.

Manchmal muss Lennart Thy sich selbst noch kneifen, weil er jetzt im Kader von Büyüksehir Belediye Erzurumspor steht, Aufsteiger in die beste türkische Liga, zwei Stunden Zeitunterschied nach Deutschland. Thy kann manchmal selbst nicht glauben, dass er das gemacht hat, als Werder Bremen seinen Spieler in diesem Sommer nicht mehr haben wollte. Werder-Trainer Florian Kohfeldt hat ihm das so gesagt, dass viele vor ihm stünden, und Thy fand das „ehrlich“ und „in Ordnung“, auch wenn es ein bisschen weh tat, aber das tut es schon mal im Profifußball. Thy weiß das. „Du lernst, nicht mehr alles persönlich zu nehmen. Es ist schon hart, wie manchmal mit einem umgegangen wird, aber so ist das.“

Tausende Niederländer haben sich typisieren lassen

Und dann ging es in die Türkei, keine Ablöse, Wechsel, Vertrag bis 2020. „Hätte mir vor einem halben Jahr jemand gesagt, du landest hier“, sagt er, „ich hätte es nicht geglaubt.“ Jetzt kommt er meist von der Bank, Thy will natürlich mehr, endlich wieder einen Stammplatz, endlich wieder treffen, Stürmer brauchen Vertrauen und Tore. Der erste Trainer ist schon weg, jetzt ist Mehmet Özdilek da, seither läuft es besser, für das Team und auch für Thy. Vor wenigen Tagen hat Thy in der Nachspielzeit den Ausgleich gegen Fenerbahce geschossen.

2018 war ein verrücktes Jahr. Irgendwie Thys Jahr. Es gibt bei Youtube ein Video, da wird Thy im August in London auf der Weltfußballer-Gala aufgerufen, er sieht schnieke aus, er läuft auf die Bühne, vor ihm verschwindet Zinedine Zdane im Off, oben empfängt ihn Paolo Maldini, und dann spricht Thy 25 Sekunden in englisch über seine Momente des Jahres, die wahrscheinlich ein ganzes Leben bedeuten. Oder mehr. Er erzählt, dass er es selbstverständlich fand, seine Stammzellen zu spenden, um womöglich ein Leben zu retten. Und dass das Beste daran gewesen sei, dass Tausende von Menschen in den Niederlanden sich danach hätten registrieren lassen für die Knochenmarkspenderdatei. Danach applaudiert das Auditorium, Thy geht wieder auf seinen Platz, an Zidane, Weltfußballer Luka Modric und den anderen vorbei. Am Ende steht seine Ehrung mit dem Fifa-Fair-Play-Preis in den Texten von der Ehrung am Ende, aber eigentlich gehörte sie an den Anfang, weil es das Beste war, was ein Fußballer 2018 zustande gebracht hat.

Drei Wochen hat Thy seinem damaligen Verein VVV Venlo in der niederländischen Ehrendivision gefehlt, weil es da ein Match gab, kein Spiel in der Liga, sondern eine Übereinstimmung mit einem Menschen. Ein Mensch, der Thys Stammzellen brauchte, um weiterleben zu können. „Ich habe es mir kurz überlegt, aber als ich mich entschlossen hatte, das zu machen, gab es für mich auch kein Zurück mehr. Es war klar, dass ich helfen will“, erinnert er sich an die Tage aus dem Februar dieses Jahres. Eine Woche lang musste Thy sich spritzen, um die Stammzellen ins Blut zu spülen, wie er er formuliert. Fünf Stunden verbrachte er dann an einer Dialysemaschine, um die Stammzellen herauszufiltern. „Das reicht in 90 Prozent der Fälle, nur zehn Prozent müssen operiert werden, um die Stammzellen zu bekommen“, weiß er. Dann war das Ärgste überstanden. Die Rückkehr in den Betrieb eines Leistungsfußballers geriet etwas beschwerlich, „als ich wieder anfing zu laufen, fühlte ich mich, als hätte ich gerade ein Spiel in den Knochen gehabt“, aber das war jetzt auch egal.

In Venlo standen ohnehin alle hinter Thy. Als sein Club 0:3 in Eindhoven verlor, wurde der Deutsche zum Spieler des Spiels gewählt, obwohl er gar nicht dabei war. Stehende Ovationen in der elften Minute, Thy trägt die 11 auf dem Rücken. „Ich war komplett überrascht, welche Wellen das geschlagen hat“, sagt er. Als er zurück war, erhoben sich die Fans, sie hielten ihre Plakate hoch, „Respekt, Lennart“, Thy hatte Menschlichkeit bewiesen, und da kam jetzt also so viel zurück, dass er noch einmal spüren konnte, wie sehr sich das lohnt: menschlich zu sein. „Wenn man weiß, dass man mit verhältnismäßig wenig Aufwand vielleicht ein Menschenleben retten kann, dann muss man das machen“, sagt er. Natürlich muss man das. Aber selbstverständlich ist es nicht.

2009 ist er mit Mario Götze U17-Europameister geworden

Ob er ein Leben wirklich retten konnte, weiß Thy nicht. Erst nach zwei Jahren ist es möglich zu erfahren, wer diese Hilfe brauchte, wie es dem Patienten womöglich geht, was daraus geworden ist. Manchmal denkt er noch daran, natürlich, die Aktion hat sein 2018 geprägt. Die Ausleihe in Venlo endete, jetzt geht es in der Türkei weiter für den Stürmer, der 2009 mit der deutschen U 17 Europameister geworden ist. Seinerzeit mit Marc-Andre ter Stegen, mit Mario Götze, Shkodran Mustafi. Mit großen und kleinen Stars. Und mit Thy. Im Finale in Magdeburg erzielte er seinerzeit den Ausgleich, am Ende gewann Deutschland den Titel in der Verlängerung, Thy und der Niederländer Luc Castaignos (heute Sporting Lissabon) waren die besten Schützen des Turniers.

Vielleicht hätte alles noch größer werden können für ihn, aber Thy ist auch so ganz zufrieden. „Ich verdiene sehr gutes Geld und spiele unheimlich gerne Fußball“, sagt er. Sich zu beklagen, gehört da nicht hinein. Er hat wirklich viel gewonnen. Und damit, dass ein Ball vom Tornetz aufgefangen wird, den er getreten hat, hatte das rein gar nichts zu tun.