#Rio2016 Die deutschen Schwimmer sind international komplett abgehängt

Der Auftritt in Rio war kaum mehr als ein Hilferuf. Ein tragfähiges Konzept ist nicht erkennbar, es fehlt Geld und die erforderliche Mentalität.

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Rio de Janeiro. Der Einsatz von Marco Koch war die letzte Chance auf die Wende zum Guten in Rio de Janeiro. Aber auch der Weltmeister über 200 Meter Brust kann den Niedergang des deutschen Schwimmens bei den Olympischen Spielen 2016 nicht aufhalten. Siebter über 200 Meter Brust. Nach den erstmals medaillenlosen Spielen in London geht an der Erkenntnis kein Weg vorbei, dass der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) in vier Jahren keinen Schritt weiter gekommen ist. Bundestrainer Henning Lambertz wehrt sich in Rio. Noch. „Es liegt nicht an der Form, es liegt am Druck, Olympia findet nur alle vier Jahre statt. Viele schwimmen in Rio unter Niveau. Nicht nur wir.“

Vier Finalteilnahmen in Peking 2008, überstrahlt von Britta Steffens Doppelgold, folgten acht Endlauf-Beteiligungen ohne Edelmetall in London 2012. Aktuell sieht es noch finsterer aus. „Am meisten tun mir die Fans leid, die nachts um drei aufstehen, um sich so was anzuschauen. Das kann es ja nicht sein“, sagte Lambertz.

Der Bundestrainer suchte wenigstens nicht nach Ausreden. „Wir haben Chancen gehabt, wir haben sie aber nicht genutzt“, sagte Lambertz, der seinen Vertrag mit dem Deutschen Schwimm-Verband möglichst um einen weiteren olympischen Zyklus verlängern will. „Weil der Weg noch nicht zu Ende ist.“ Man ist geneigt zu fragen, warum er noch nicht einmal angefangen hat.

Aber ernsthaft gibt es zu Lambertz momentan keine wirkliche Alternative. Die Führung des Verbandes ist angeschlagen. Christa Thiel, die 2000 mit Verve ins Amt gestartet war, hat beständig abgebaut. Sie ist fast nicht mehr präsent auf deutscher Ebene. Dafür um so intensiver auf der europäischen Bühne. Ob sie beim nächsten Verbandstag des DSV noch einmal antritt, ist noch offen. Die Gegner formieren sich, weil sie übereinstimmend der Meinung sind, dass der Verband nach 16 Jahren einen Neuanfang braucht.

Lambertz weiß, dass intensiver trainiert werden muss. Die überall propagierte duale Karriere im deutschen Spitzensport funktioniert aber nicht, der Spagat zwischen sportlicher Karriere und beruflicher Ausbildung ist für die meisten Athleten ein schmerzhafter Spagat. Dabei müsste es das Gegenteil sein. Die Unterstützung für die Spitzenathleten ist eher rückläufig als dass sie zunimmt, und Schwimmen ist ein trainingsintensiver Sport. Kaum noch junge Menschen nehmen die Trainingsfron auf sich. Auch, weil man sich aufgrund fehlender Ressourcen nicht wirklich professionell um sie kümmern kann.

Was in Rio de Janeiro auffällt, ist, dass es Schwimmern anderer Nationen offenbar mehr Spaß macht, intensiv zu trainieren. Wenn man die US-Amerikaner, die Australier, auch die Briten in Brasilien beobachtet, hat man den Eindruck beständiger guter Laune. In der deutschen Mannschaft sieht man keine lachenden Gesichter. In Paul Biedermann hat einer der verbleibenden Spitzenkräfte in Rio seinen letzten Wettbewerb absolviert. Ob Marco Koch seine Nachfolge antreten kann, ist offen. Koch versucht, seine Karriere möglichst verbandsunabhängig zu gestalten.

Lagenschwimmerin Franziska Hentke galt nach ihrem Europameistertitel in London im DSV als Medaillenkandidatin und wurde auch so propagiert. Damit tat man der Magdeburgerin keinen Gefallen, sie erreichte über 200 Meter Schmetterling nicht einmal den Endlauf. Neben den Staffeln erreichten das in den Einzeldisziplinen überhaupt bisher nur Biedermann, Koch und überraschend Christian Diener über 200 Meter Rücken und Philipp Heinz über 200 Meter Lagen. „Man muss da nicht lange drumherum reden“, sagt Lambertz, „unser Auftritt ist nicht das, was wir erwartet haben.“

Lambertz ist ein talentierter Kommunikator, ein Rezept für die Zukunft hat er offenbar nicht. Oder er hat es noch nicht öffentlich gemacht. Wer in die Weltspitze im Schwimmen vordringen will, muss sich an den USA oder Australien oder Großbritannien orientieren. Das ist teuer. Die Mittel hat der Verband nicht. Ob die groß angekündigte Spitzensportreform nach den Olympischen Spielen 2016 da ein Fortschritt sein wird, steht dahin. Bisher ist in Deutschland noch nach jedem Olympia blumig eine Reform angekündigt worden. Das Resultat besteht darin, dass die Anzahl der Medaillen seit Barcelona 1992 konsequent rückläufig ist. Lambertz sagt jetzt: „Das System muss sich ändern, sonst sind wir im Leistungssport nicht mehr existent.“ Auf dem Silbertablett sei die Medaille präsentiert worden, „aber wir wollen sie nicht. Wir nehmen die Finger wieder weg und greifen nicht zu“, haderte er. Zeiten, die zu Medaillen reichten, seien in den wenigen starken Disziplinen „nicht Lichtjahre entfernt“.

Spitzensport ist eine grundsätzliche Entscheidung. Spitzensport muss man sich politisch leisten wollen. In Deutschland dagegen gründen sich immer mehr Organisationen, die sich für kompetent im Spitzensport halten. Das einzig sichtbare Resultat ist, dass immer mehr Funktionäre durch die Gegend rennen, die Anzahl der Spitzenathleten aber konsequent zurückgeht. Albatros Michael Gross spricht gerne von einer vollkommen überladenen Führungsstruktur des deutschen Sports. Das hat er auch schon kritisiert, als er noch Medaillen gewonnen hat. Aber seither hat sich Lage eher verschlimmert als verbessert.

Den DOSB hält Gross für grundsätzlich nicht in der Lage, das Problem zu lösen. „Man braucht im Spitzensport kleine professionelle Einheiten, die schnell reagieren, die klare Vorstellungen haben. Diese Professionalität geht dem deutschen Spitzensport komplett ab.“ Was für den gesamten deutschen Spitzensport gilt, gilt auch für die Schwimmer. Der Auftritt in Rio de Janeiro war erwartbar. Im Grunde ist er aber nicht mehr als ein Hilferuf der Athleten.