IOC-Chef Bach im Fall Gauck um Deeskalation bemüht
Lausanne (dpa) - Thomas Bach versuchte der Sotschi-Diskussion die Brisanz zu nehmen. Protokollarische Gründe seien im wesentlichen verantwortlich für den Verzicht von Bundespräsident Joachim Gauck auf eine Reise zu den Olympischen Winterspielen, sagte der IOC-Präsident.
Bach schloss politische Motive für den heiklen Entschluss aus. „Ich kenne Präsident Gauck als geradlinigen Menschen. Wenn seine Entscheidung politische Motive gehabt hätte, hätte er es bestimmt gesagt. Er ist ein Mann, der weiß, wie man mit Worten umgeht“, erklärte Bach am Dienstagabend nach der ersten Marathonsitzung mit seiner Exekutive in Lausanne. „Er sagte, es waren vor allem protokollarische Gründe. Er kann ohne einen vorangegangenen offiziellen Staatsbesuch kein Land besuchen.“
Mit dieser Einschätzung stand Bach allerdings ziemlich allein da. Das Bundespräsidialamt nannte offiziell keine Gründe für Gaucks Entscheidung, die die Diskussionen um die politisch belasteten Spiele neu befeuert hat und nicht nur von deutschen Politikern als Reaktion auf Moskaus rigiden Umgang mit Menschenrechten gewertet wurde. Das deutsche Staatsoberhaupt hatte in der Vergangenheit wiederholt mehr Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit in Russland angemahnt.
Nach Gauck kündigte auch die stellvertretende EU-Kommissarin Viviane Reding an, den Spielen an der russischen Schwarzmeerküste fernzubleiben - und begründete ihren Schritt ausdrücklich mit der Menschenrechtslage in Russland. „Ich werde sicher nicht nach Sotschi fahren, solange Minderheiten auf diese Weise von der derzeitigen russischen Regierung behandelt werden“, schrieb die Luxemburgerin bei Twitter. Sie bezog sich damit auf die Ausbeutung hilfloser Wanderarbeiter und die internationale Empörung über das heftig kritisierte Anti-Homosexuellen-Gesetz.
Tennis-Legende Martina Navratilova forderte vom Internationalen Olympischen Komitee ebenfalls ein stärkeres Eintreten für homosexuelle Sportler. „Schwule und Lesben müssen in so vielen Ländern immer noch Schimpfwörter und Schikanen oder sogar Gefängnisstrafen über sich ergehen lassen. In sechs Ländern droht ihnen sogar die Todesstrafe. Der Sport hat die Macht, daran etwas zu ändern“, sagte Navratilova bei den Vereinten Nationen in New York.
Bachs Nachfolger als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Alfons Hörmann, kann die allgemeine Negativstimmung nachvollziehen: „Aus heutiger Sicht gibt's sicherlich viele kritikwürdige Punkte an der Vergabe an Sotschi“, sagte der 53-Jährige. „Die Art, wie die Spiele dort umgesetzt werden, erfährt an zahlreichen Stellen berechtigte Kritik.“
59 Tage vor der Eröffnungsfeier in Sotschi war Bach nach dem acht Stunden langen Meeting im IOC-Hauptsitz Château de Vidy bemüht, die Wogen zu glätten. Der Franke lobte die Vorbereitungen und begrüßte die Einrichtung von ausgewiesenen Zonen für Demonstrationen während der Winterspiele in Sotschi. „Wir haben uns sehr über die Ankündigung des Organisationskomitees gefreut, dass es in Sotschi Protestzonen geben wird. Jeder kann seine freie Meinung äußern“, sagte der Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).
Russlands Inlandsgeheimdienst FSB hatte Ende der vergangenen Woche ein Dekret von Präsident Wladimir Putin korrigiert, wonach solche Demonstrationen aus Sicherheitsgründen zunächst untersagt worden waren. Auch bei den Sommerspielen 2008 in Peking hatte es solche Protestzonen gegeben, die aus Furcht vor Bestrafungen allerdings nicht genutzt worden waren.
Wie ernst es die russische Regierung tatsächlich mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung meint, zeigte Wladimir Putins überraschende Auflösung der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti. Diese scheidet damit auch als Medienpartner der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi aus. „Wir erwarten nicht, dass diese Entscheidung Auswirkungen auf den Ablauf der Spiele hat“, kommentierte das IOC. Per Dekret gliederte der Kremlchef Staatsmedien wie Ria Nowosti und den Radiosender „Golos Rossii“ (Stimme Russlands) in einen Staatspropaganda-Apparat unter dem Namen „Internationale Nachrichtenagentur Rossija Segodnja“ (Russland heute) ein.
Bach war sichtlich erleichtert, als er nach der Fragerunde der Weltpresse zum symbolisch letzten Schritt der Amtsüberübergabe eilen konnte. Im olympischen Museum, das nach zweijährigen Renovierungsarbeiten Ende des Monats wieder geöffnet werden soll, nahm er von seinem Vorgänger Jacques Rogge den Schlüssel zum IOC-Hauptsitz entgegen. Bis Samstag will er jetzt mit seinem Kabinett in Montreux in Klausur gehen und die Neuausrichtung der Ringe-Organisation vorantreiben.