Rogge: Goldmedaille für erfolgreichen Feminismus
London (dpa) - Jacques Rogge lächelte gelassen und freute sich über den vielversprechenden Beginn seines letzten Abenteuers. Der IOC-Präsident durfte sich schon vor der Eröffnungsfeier in London als erster Sieger des Olympia-Spektakels fühlen.
Für seine beharrlichen Bemühungen um die olympische Gleichberechtigung wurde er nach eigener Auskunft bereits von verschiedenen Frauenorganisationen belobigt. „Ich würde es zusammenfassen unter 'Glückwunsch, aber'. Sie waren glücklich, was schon erreicht wurde, haben uns aber daran erinnert, dass es noch viel zu tun gibt, und das sehe ich genauso“, sagte der Belgier in London, „es ist ein guter Schritt nach vorn.“
In der feierlichen Eröffnungszeremonie am Freitagabend im Londoner Olympiastadion manifestiert sich seine Frauenpolitik, die er gleich zu Beginn seiner Amtszeit zu einem der zentralen Themen seiner Präsidentschaft gemacht hatte. Erstmals in der Olympia-Geschichte sind alle 204 Länder mit Frauen vertreten - auch Saudi-Arabien, Katar und Brunei, die 2008 bei den Peking-Spielen noch reine Männer-Teams an den Start geschickt hatten.
Die Schützin Bahiya Al-Hamad, eine von vier Starterinnen Katars, darf sogar die Flagge ihres Landes tragen. Brunei nominierte die Leichtathletin Maziah Mahusin, das Nationale Olympische Komitee Saudi-Arabiens meldete nach extrem zähen Verhandlungen mit dem IOC Judoka Wodjan Ali Seraj Abdulrahim Sharkhani und die 800 Meter-Läuferin Sarah Attar.
Die Ringe-Organisation feierte diese historische Premiere als Durchbruch bei dem Versuch, das Ungleichgewicht in der olympischen Familie zu korrigieren. „Das ist ein Meilenstein in der olympischen Geschichte und ein Verdienst von Jacques Rogge, der sich jahrelang in dieser Angelegenheit engagiert hat“, erklärte IOC-Vize Thomas Bach der Nachrichtenagentur dpa. Durch die Aufnahme von Frauen-Boxen gibt es bei den Spielen in London erstmals keine Sportart mehr ohne weibliche Beteiligung.
Auch die Wahlen bei der 124. Vollversammlung erhöhten die Frauenquote im Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Gleich drei Frauen sitzen seit neuestem in der mächtigen 15-köpfigen Ringe-Regierung - so viele wie nie zuvor. Ex-Fechterin Claudia Bokel, zweites deutsches IOC-Mitglied neben Bach, schaffte als Vorsitzende der IOC-Athleten-Kommission den Sprung ins Kabinett - nur vier Jahre nach ihrem Einzug ins IOC. Die Marokkanerin Nawal el Moutawakel, 400-Meter-Hürden-Olympiasiegerin von 1984, wurde sogar zur IOC-Vizepräsidentin befördert und wird als aussichtsreiche Kandidatin auf die Nachfolge von Rogge gehandelt. Bislang war die Schwedin Gunilla Lindberg die einzige Frau in der IOC-Exekutive.
Zudem setzte die IOC-Session bei der Aufnahme neuer Mitglieder ein weiteres Zeichen. Die ehemalige chinesische Badminton-Spielerin Lingwei Li und Aisha Garad Ali, Präsidentin des Nationalen Olympischen Komitees von Dschibuti, wurden als reguläre Mitglieder ins IOC aufgenommen. Damit sind jetzt 22 der 109 Mitglieder weiblich - allerdings werden nur drei Weltverbände olympischer Sportarten von Frauen angeführt. „Wir haben schon einiges erreicht, aber es muss noch viel getan werden für die Gleichheit der Frauen“, sagte Rogge, der sich nur Stunden vor der Eröffnungsfeier erneut mit der Saudi-Thematik beschäftigen musste. Der Internationale Judoverband forderte, dass Wodjan Ali Seraj Abdulrahim Sharkhani gemäß der Verbandsregeln nur ohne traditionellen Hijab starten dürfe.