Björndalens letzter großer Plan
Der norwegische Star-Biathlet Ole Einar Björndalen ist noch nicht für Olympia in Pyeongchang qualifiziert. Der Verband fordert Leistung.
Hochfilzen. In diesen Tagen gibt es nur wenige Menschen, mit denen Ole Einar Björndalen seine Sorgen offen teilt. Einer ist Fritz Hinteregger, sein Physiotherapeut. Der hagere Südtiroler ist nicht nur ein enger Vertrauter in körperlichen Fragen, er ist auch Seelenstreichler. Ole Einar Björndalen steht unter Druck. Per Arne Botnan, Sportdirektor der norwegischen Biathleten, hat ihm eine klare Ansage gemacht und gesagt: „Er bekommt keinen Freifahrtschein für die Olympischen Spiele, er muss sich wie jeder andere qualifizieren.“
Bis Weihnachten will Botnan ein Signal sehen — sprich Leistung. Doch die Ergebnisse des Rekord-Weltmeisters sind bisher mäßig. Platz 23 im Gesamtweltcup ist nicht das Problem, für den 43-Jährigen zählt nicht die Kristallkugel für den Konstantesten. Sein alleiniges Ziel ist Olympia in Pyeongchang. Es wären Björndalens siebte Spiele.
Doch bisher sind für den Ehemann von Darja Domratschewa zwei 18. Plätze — im Einzel und in der Verfolgung von Östersund — als bestes Ranking notiert. Die Bilanz in den Einzelrennen von Hochfilzen liest sich frustrierend. Rang 28 im Sprint. Die böse Zahl versteckt sich dahinter: nur die 49. Laufzeit für Ole Einar Björndalen. In der Verfolgung fällt der Mann mit den 20 WM-Goldmedaillen gar auf Position 46 ab. In der Spur abgehängt und obendrein indiskutable fünf Schießfehler. Das schmerzt.
Der Druck wächst stetig. Wissend, dass es keine Extrawurst für die Biathlon-Legende geben wird. Nach dem Weltcup in Ruhpolding nominiert der Verband für Südkorea. Doch ist Ole Einar Björndalen bis dahin nicht einmal unter die Top acht gelaufen oder zweimal unter die Besten 15, droht aus dem Helden ein tragischer Held zu werden.
Ein Abgang im Stillen statt eines Adieus auf der großen Bühne, wie er es nach einem Vierteljahrhundert im Weltcup und acht Olympiasiegen verdient hätte. Es geht um einen Abschied in Würde. Ole Einar Björndalen weiß selbst, „meine Zeit ist vorbei“. Als Solist hat er nur noch geringe Chancen, aber er möchte unbedingt noch mal mit der Staffel eine Medaille gewinnen. „Die will ich haben.“
Seine Vorbereitung hat er ganz auf Olympia ausgerichtet — und schon zahlreiche Male bewiesen, dass er diese Kunst, zum Tag X topfit zu sein, grandios beherrscht. Aber klappt das auch diesmal? Nun müssen Topresultate her. Idealerweise schon heute (14.15 Uhr/live ZDF) im Sprint im französischen Le Grand Bornand. Ole Einar Björndalen kämpft — und macht sich rar.
Nach dem Staffelsieg der Norweger in Hochfilzen, wo er als Startläufer mit einem fehlerfreien Stehendschießen bei widrigsten Bedingungen seine Routine nachweist, 1,7 Sekunden hinter Michael Rösch als Zweiter wechselt und sich als unverzichtbarer vierter Mann empfiehlt, fehlt er bei der Pressekonferenz. Als Einziger.
Cheftrainer Siegfried Mazet hat seine Stärksten geschont und stellt jene vier Athleten auf, die wohl die verbleibenden Startplätze für Olympia unter sich ausmachen. Eine Selektions-Staffel, bei der Ole Einar Björndalen auffällt — aber nicht mehr als andere. Der TV-Kommentator Andreas Stabrun Smith sagt jedoch: „Das zeigt, warum er für Olympia nominiert werden sollte.“ Fünf sind besser Nur: Ole Einar Björndalen braucht Fakten, die eindeutig für ihn sprechen. Keine emotionsgeschwängerten Hoffnungen. Oder Wünsche. Und in dieser Saison sind die bereits mit Siegen dekorierten Brüder Tarjei und Johannes Thingnes Bö, Emil Hegle Svendsen, Lars Helge Birkeland und Henrik L’Abee-Lund deutlich besser als er. Jedenfalls bisher.
Sie kämpfen. Björndalen und seine Frau Darja Domratschewa, die weißrussische Vorzeige-Biathletin. Auf dem 1,5 Millionen-Euro teuren Truck mit Küche, Esszimmer, Dusche, Betten, Fitnessstudio und Laufband prangt auf der einen Seite das Foto Björndalens und auf der anderen jenes von Domratschewa, die seit ihren drei Olympiasiegen in Sotschi 2014 eine weißrussische Nationalheldin ist. Die im Oktober 2016 geborene Tochter ist samt Kindermädchen bei den Weltcup-Rennen dabei.
„Wir sind gelassener, weil wir es einfach sein müssen“, sagt Björndalen. „Wenn das Baby zu früh aufwacht, dann muss man einfach aufstehen.“ Vielleicht hilft dem Super-Helden der Norweger, dem Perfektionisten, diese Gelassenheit auch beim Kampf um die siebte Olympia-Teilnahme. Eine 14. Medaille erscheint trotz allem keine Utopie.
Noch nicht.