Christoph Kramer: Weltmeister? „Mein erster Pokal!“
Der Nationalspieler spricht über seine schnelle Karriere und seine besondere Vertragssituation.
Düsseldorf. Manchmal fragt man sich ja, was das für ein Typ sein muss. Dieser Christoph Kramer lebt mindestens seit zwei Monaten auf der Überholspur. Im Schnelldurchgang ist der Solinger Weltmeister geworden, gerade gelingt ihm fast alles. Der Mittelfeldspieler von Borussia Mönchengladbach strotzt vor Selbstbewusstsein. Vor dem Spiel gegen Schottland am Sonntag (20.45 Uhr/RTL) fragen wir mal nach.
Herr Kramer, kann es sein, dass Sie einen Lauf haben?
Kramer: Wenn du von so einer WM kommst, die noch gewinnst und mit den besten Spielern der Welt über zehn Wochen zusammen bist, dann hast Du ein gesteigertes Selbstbewusstsein. Das beflügelt einen. Und ich habe probiert, das mit in die Saison zu nehmen.
Vor der WM galten Sie als Kramer, die Pferdelunge. Ein Läufer und Kämpfer.
Kramer: Ich habe schon damals gesagt: Leute, ich kann auch ein bisschen kicken.
Sie müssen es doch selbst merken. Spielen Sie besseren Fußball als vor zwei Jahren?
Kramer: Ich habe gelernt, aber ich bin kein anderer geworden. Die Wahrnehmung ist anders. Wenn ich vor zwei Monaten einen Pass wie jetzt gegen Argentinien gespielt hätte, wäre es Zufall gewesen. Jetzt wird der hochgejubelt. In der 2. Liga habe ich mal gegen Fürth ein Tor gemacht, das hat noch kein Mensch auf dieser Welt so geschossen, das war das Tor des Jahrhunderts. Aber das hat niemanden interessiert. Wenn ich das heute machen würde, dann wäre es auch das Tor des Jahrhunderts.
Sie spielen wie immer?
Kramer: Es ist einfacher, bei Mönchengladbach zu spielen als bei Bochum. Und es ist einfacher, in der Nationalelf zu spielen als in Gladbach. Die Mitspieler haben einen großen Anteil daran, wie du selbst spielst. Toni Kroos oder Marco Reus, die sind unglaublich spielintelligent. Manchmal bekommt man den Ball, und du hast gar keine andere Möglichkeit, als sie anzuspielen. Da funktioniert man. Wenn Xabi Alonso etwa von Real Madrid zu einem kleinen Verein gekommen wäre, hätte er da nicht sofort funktioniert. Bei den Bayern aber sehr wohl.
Ist Alonso ein Held für Sie?
Kramer: Ich habe echt kein Idol. In meiner Jugend fand ich Steven Gerrard, Stefan Effenberg und Bastian Schweinsteiger super. Für Schweinsteiger gilt das immer noch (lacht). Er ist zurecht jetzt Kapitän. Spätestens seit dem WM-Finale ist er für mich eine Legende.
Bei der Nationalelf beginnt ein neuer Zyklus. Für Sie dort auch?
Kramer: Die Verletzten kommen irgendwann zurück. Für mich gilt immer noch: Ich bin froh, dabei zu sein. Und ich werde immer Gas geben. Ich fühle mich noch nicht als kompletter und fester Bestandteil dieser Mannschaft.
Das Vertrauen des Bundestrainers hatten Sie schon im WM-Finale.
Kramer: Ich habe die ganze Zeit Vertrauen gespürt. Und dann hat der Bundestrainer Taten folgen lassen.
Wie groß war die Nervosität?
Kramer: Klar war ich vor dem Finale nervös. Aber wenn das Spiel läuft, dann bin ich eben neun Jahre alt und renne jedem Ball hinterher.
Die Geschichte des nach einer Gehirnerschütterung vergessenen Finals können Sie nicht mehr hören.
Kramer: Dass ich umgefallen bin, wissen alle. Dass ich mich nicht erinnern kann, auch. Die Geschichte ist total durch. Da wird auch nichts mehr an Erinnerung zurückkommen. Wenn ich es jetzt im TV sehe, ist es ein komisches Gefühl. Als hätte ich da nicht mehr gelebt.
Ihr größter WM-Moment?
Kramer: Beim Finale: Einlaufen ins Stadion, den Pokal sehen.
Und am Ende sind Sie Weltmeister.
Kramer: Ich hatte noch nie einen Pokal in den Händen, das war der erste. Und ich muss sagen: Es ist schon schön.
Der WM-Pokal war ihr erster Pokal?
Kramer: Ok, ich habe schon mal ein Hallenturnier in Sindelfingen gewonnen.
Wo ordnen Sie sich jetzt in diese Nationalelf ein?
Kramer: Klar hast Du Etablierte, aber wir sind ganz gut damit gefahren, dass die Hierarchie für niemanden zu spüren war. Das macht uns stark, das sollten wir weitertragen in die nächste Phase. Ich hatte nach zwei Tagen das Gefühl, als wäre ich schon seit zehn Jahren bei der Nationalmannschaft.
Wie ist Ihre Situation jetzt? Sie haben Vertrag in Leverkusen bis 2017, Gladbach will Sie halten, Leverkusen will Sie zurück.
Kramer: Ich sehe die Situation positiv und werte das Interesse auch als Anerkennung meiner Leistung. Ich mache mir aber momentan nicht so viele Gedanken darüber. Ich freue mich, dass wir mit Gladbach in der Europa League spielen. Was dann nächstes Jahr im Frühjahr passiert, das wird man sehen.
Stets ist die Rede davon, es gehe für Sie in Gladbach oder in Leverkusen weiter. Kann das auch ganz woanders sein?
Kramer: Nochmal: Ich mache mir im Moment keine Gedanken darüber. Aber zeigen Sie mir den Spieler, für den es nicht etwas Besonderes wäre, für einen Verein wie Real Madrid oder Manchester United zu spielen. Ob das so realistisch ist, weiß ich nicht. Ich werde schon gut unterkommen, da bin ich mir sicher. Dann werde ich einfach aus dem Bauch entscheiden, was das Beste ist.
Wieviel Talent, wieviel Willen steckt in Ihnen?
Kramer: Das ist dreigeteilt. Je ein Drittel Glück, Talent und Willen. Wenn du alles hast, schaffst du es. Ich habe viele Spieler gesehen, die mehr Talent hatten. Andere hatten mehr Willen. Wenn Du nur eines von den drei Dingen nicht hast, schaffst du es nicht in den bezahlten Fußball.
Wann hatten Sie Glück?
Kramer: Ich war in meinem Leben bestimmt zehn Mal zum richtigen Moment am richtigen Ort. Ich hatte ein Probetraining in der B-Jugend in Düsseldorf, in der A-Jugend in Leverkusen. Ich hatte das Länderspiel der U20 gegen Polen, wo ich ein Tor gemacht habe — sonst wäre ich nicht nach Bochum gekommen. Ich hatte Leon Goretzka in der Mannschaft, sonst hätte ich nie ein Angebot von Benfica Lissabon bekommen, weil die Leon gegen Aue beobachtet haben. Deshalb habe ich in Leverkusen verlängert und bin nach Gladbach gekommen. Das sind glückliche Umstände.
Nichts mehr?
Kramer: Natürlich kann man auch sagen: In all diesen Momenten habe ich auch gut gespielt. Das ist vielleicht auch mal eine Qualität.