Doping in der Bundesrepublik - Ministerium gelassen
Berlin (dpa) - Nach dem neuerlichen Wirbel um die dunkle, steuerfinanzierte Doping-Vergangenheit der Bundesrepublik blieben Sport und Politik überraschend gelassen.
Das Bundesinnenministerium und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) forderten unisono die Veröffentlichung des wissenschaftlichen Abschlussberichts, der nach der Überarbeitung durch Datenschützer allerdings keine neuen brisanten Namen enthalten dürfte. „Ich habe dieses Projekt initiiert, um eine umfängliche Aufklärung zu erreichen und Aufarbeitung zu ermöglichen. Deshalb hoffen wir im DOSB, dass uns der Abschlussbericht baldmöglichst zugeht“, sagte DOSB-Präsident Thomas Bach der dpa. Der Sportausschuss des Deutschen Bundestages wird voraussichtlich Anfang September auf einer Sondersitzung über die Enthüllungen beraten.
Unter Berufung auf Ergebnisse der Arbeit einer Forschergruppe der Berliner Humboldt Universität mit dem Titel „Doping in Deutschland 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation“ hatte die „Süddeutsche Zeitung“ über systematisches Doping in der Bundesrepublik seit Beginn der 1970er-Jahre berichtet. Laut einer Studie seien damals schon Anabolika an Minderjährige verabreicht worden. Bereits 1988 habe es einen Antrag zur Erforschung der Wirkungsweise des Blutdopingmittels Epo gegeben.
Etliche Politiker hätten von Doping gewusst, es zumindest geduldet und die Sportmedizin sogar unter Druck gesetzt, so die „SZ“. Kritiker seien kaltgestellt worden. Der frühere Innenminister Hans-Dietrich Genscher und der deutsche Spitzenfunktionär Walther Tröger stritten jegliche Mitwisserschaft ab.
Genscher, 1972 Innenminister, hielt es in der „Bild am Sonntag“ für „völlig ausgeschlossen“, dass Politiker vor Olympia 1972 in München Doping-Druck auf bundesdeutsche Sportler ausgeübt haben. Auch Tröger, von 1961 bis 1992 Generalsekretär im Nationalen Olympischen Komitee und damit rechte Hand des NOK-Präsidenten Willi Daume, wies die Vorwürfe zurück. Das Doping-System der Bundesrepublik sei mit dem der ehemaligen DDR nicht vergleichbar, sagte er.
„Systematisches Doping hat es unter dem Dach des Bundesinnenministeriums, des Bundesinstituts für Sportwissenschaft und der Sportorganisationen nach meiner Überzeugung nicht gegeben“, meinte Tröger. Verspätete Negativfolgen erwarte er weder für sich noch für Daume: „Die Legende Willi Daume wird durch diesen Bericht keinen Schaden nehmen. Er hat in Deutschland auch kein Doping unter der Hand akzeptiert.“
Im Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp), das seit seiner Gründung 1970 dem BMI untersteht, seien laut der „SZ“ „jahrzehntelang die Fäden für umfangreiche Tests mit zahlreichen leistungsfördernden Substanzen“ zusammengelaufen - von Anabolika, über Testosteron und Östrogen bis hin zum Blutdopingmittel EPO. Dies sei der Studie zufolge „nicht als Reaktion auf das Staatsdoping der DDR, sondern parallel dazu und aus eigenem Antrieb“ geschehen. Mindestens 516 Forschungsvorhaben wurden aufgelistet. Obwohl die wissenschaftliche Arbeit viele alte Erkenntnisse wiederholt, zeichnet sie ein treffendes Sittenbild der einstigen Seilschaften aus Politik, Sport und Wissenschaft im Westen Deutschlands.
Bereits vor zwei Jahren hatten die Wissenschaftler unter Leitung von Professor Giselher Spitzer von „staatlich subventionierten Anabolika-Forschungen“ in der Bundesrepublik gesprochen. Diese seien nach 1970 an der Uni Freiburg beim umstrittenen Sportmediziner Joseph Keul „konzentriert“ worden. Auch die fragwürdige Rolle Daumes war dokumentiert worden. „Vieles, was wir lesen konnten, ist nicht neu“, meinte DOSB-Generaldirektor Michael Vesper.
Der Abschlussbericht der vom Deutschen Olympischen Sportbund 2008 initiierten und vom BISp mit rund 525 000 Euro bezuschussten Arbeit ist noch nicht veröffentlicht. Bislang hatten beide Organisationen Datenschutzbedenken als Grund genannt. Diese seien jetzt ausgeräumt, „so dass einer Veröffentlichung insoweit nichts mehr im Weg steht“, sagte ein BMI-Sprecher. Die Verantwortung für die Validität der getroffenen Aussagen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen liege bei den mit der Untersuchung befassten Wissenschaftlern. Dies entspräche den normalen wissenschaftlichen Grundsätzen. Die Wissenschaftler wiederum befürchten bei einer Veröffentlichung ihrer Studie teure Klagen und fordern Rechtsschutz von ihrem Auftraggeber - schließlich werden einige noch aktive Protagonisten schwer belastet.
Trotz aller Schutzmaßnahmen scheinen zahlreiche Drahtzieher der großen westdeutschen Olympia-Erfolge eine späte Entlarvung als Falschspieler zu befürchten. „Man darf keine Liste wie auf den Steuer-CD's erwarten oder dass Olympia-Helden massenhaft des Dopings bezichtigt werden. Viele Sportler und Funktionäre sind schon tot, da tut man sich natürlich leichter“, sagte der Pharmakologe Fritz Sörgel nach Studium des 800-Seiten-Berichts, „ob man die hochbetagten Funktionäre und Sportärzte zu einer Äußerung oder gar einem Geständnis wie bei Zabel oder Armstrong bringen kann, bezweifle ich. Trotz aus dem Text entfernter Namen lässt sich über wissenschaftliche Literatur aber leicht herausfinden, um wen es sich dabei handelt.“
Genau diese Namen wollen der Sportausschuss des Bundestages und Spitzenfunktionäre wie Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, wissen. „Die SPD-Fraktion hat eine Sondersitzung schon beantragt“, sagte die Sportausschussvorsitzende Dagmar Freitag, „Ich denke, wir haben ein Recht auf die verlangten Auskünfte.“ Schließlich zahle der Bund und damit der Steuerzahler für die Studie. Im Zuge der Aufarbeitung und Transparenz müssten „auch im Westen die Namen veröffentlicht werden, insbesondere von Personen, die noch einen Posten im Sport bekleiden“, sagte Prokop.