Fall Pistorius auch ein Dopingskandal?
Pretoria (dpa) - Dem internationalen Behindertensport droht nach dem Kriminalfall Pistorius nun auch noch der größte Dopingskandal seiner Geschichte.
Die südafrikanische Polizei gab vor Gericht in Pretoria bekannt, was diverse Zeitungen bereits seit Tagen berichtet hatten: Dass bei den Ermittlungen gegen den unter Mordanklage stehenden Paralympics-Star das Dopingmittel Testosteron und mehrere Spritzen in seinem Schlafzimmerschrank gefunden wurden.
Pistorius' Verteidiger Barry Roux erklärte bei der Anhörung seines Mandanten, dass es sich dabei nur um ein pflanzliches Heilmittel mit dem Namen „Testo Compositum Coenzyme“ gehandelt habe und nicht um verbotene Steroide. Doch für die paralympische Bewegung hängt von der Frage, welche der beiden Versionen denn stimmt, eine ganze Menge ab.
Ein verurteilter Mörder Pistorius würde vermutlich noch keinen Schatten auf seinen gesamten Sport werfen, da man seine Leistungen von dem trennen müsse, „was der Mensch Pistorius gemacht hat“, wie Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), betonte.
Ein Dopingfall Pistorius aber - die Erkenntnis, dass die sechs paralympischen Goldmedaillen des 26-Jährigen „Blade Runners“ eine Folge unerlaubten Medikamenten- Konsums waren - würde für alle einen erheblichen „Beigeschmack“ haben, befürchtet der DBS-Sportdirektor Frank-Thomas Hartleb. Das würde „den Hero des Behindertensports vom Sockel stoßen“.
Pistorius ist die mit Abstand größte Identifikationsfigur seines Sports. Wie kein anderer hat es der Sprinter geschafft, eine weltweite Aufmerksamkeit auf die Paralympics zu lenken. Das Internationale Paralympische Komitee (IPC) profitierte von ihm und warb bei jeder Gelegenheit mit ihm. Doch im Zuge der Mordanklage und des Dopingverdachts gegen den Südafrikaner sind nun auch schon die ersten Absatzbewegungen bei den Offiziellen zu erkennen.
Präsident Philip Craven schrieb bereits am Dienstag einen Brief an alle Mitglieder des IPC, in dem er versuchte, die Aufmerksamkeit vom Fall Pistorius auf die vielen jungen Nachwuchshoffnungen des Behindertensports zu lenken. „Wir haben so viele kommende Stars in unseren Reihen, dass das für uns kein Problem sein wird“, meinte der frühere Rollstuhl-Basketballer aus Großbritannien mit Blick auf einen möglichen Ausfall des „Blade Runners“ als paralympisches Zugpferd.
Andere Funktionäre äußerten sich wesentlich zurückhaltender. „Ich glaube nicht, dass die paralympische Bewegung ein Imageprobleme bekommt. Es werden schon seit längerem Dopingproben bei den Paralympics durchgeführt. Außerdem ist es noch nicht bewiesen, dass Pistorius auch gedopt hat“, sagte der Generaldirektor des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Christophe de Kepper.
Auch DBS-Sportdirektor Hartleb betonte: „Eines muss man festhalten: Der Fund von Dopingmitteln ist keine positive Dopingprobe. Er ist vielleicht ein Indiz, kann aber noch nicht gegen ihn vorgebracht werden“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Hartleb unterstrich aber auch, dass die weit verbreitete Ansicht „Behinderter Sportler = ehrlicher Sportler“ so pauschal nicht zutreffe. Ein Dopingfall Pistorius würde seiner Meinung nach bedeuten, dass „der Behindertensport in der Realität angekommen ist. Behindertensportler sind keine besseren Menschen als andere Sportler“, meinte er.